Amerikanischer Krieg oder multipolare Weltordnung?

Amerikas Präsident erklärte den Krieg. Es soll ein langer Krieg gegen den Terrorismus und seine Helfer werden, um weitere Anschläge wie die auf das World Trade Center und das Pentagon vom 11.9.2001 ein für allemal zu verhindern. Es gehe nicht darum, so der stellvertretende Verteidigungsminister der USA, Paul Wolfowitz, einzelne Personen zu bestrafen, sondern Staaten und Systeme „auszuschalten“, die den Terrorismus unterstützten.
Vierundreißig solcher Staaten hat Amerika ins Visier genommen, allen voran die arabischen Staaten Iran, Irak, Syrien, Libyen, Sudan, Jemen und als Zentrum des „Bösen“ die Taliban, weil sie den Hauptbeschuldigten Osama bin Laden beherbergten. Dazu kommen noch Kuba, Korea und alle, die nicht bereit sind, sich mit der amerikanischen Kriegserklärung zu solidarisieren.
Es verwundert nicht, dass sich die NATO und all jene Staaten, die sich dem Westen zugehörig fühlen oder ihm – wie die Staaten Osteuropas – angehören möchten, auf die Seite Amerikas stellen, zumindest erst einmal verbal. Mit logischer Konsequenz mutiert eine Supermacht, die nach Vorherrschaft strebt, in Reden und Medien innerhalb weniger Tage zur „einzigen verbliebenen Weltmacht“, zum Zentrum und Botschafter der Zivilisation. Wer an anderes erinnert, wird ausgegrenzt.

Nachdenklich aber stimmen die Solidaritätsadressen der russischen und der chinesischen Regierungen: Über Nacht wurden die USA auch in den offiziellen Verlautbarungen aus Moskau und Peking vom Störenfried einer sich herausbildenden multipolaren Ordnung zum strategischen Partner.

Dies alles macht den Eindruck als ob jetzt, gut ein Jahrzehnt nach dem Ende der Sowjetunion, endgültig das amerikanische Zeitalter anbreche. Aber dieses Bild täuscht: In Wirklichkeit signalisieren die Anschläge nicht den endgültigen Sieg der „einzig verbliebenen Weltmacht“, sondern deren einsetzende Entthronung:
Schon seit längerem hat die „Supermacht“ USA sich überhoben und befindet sich auf einem strategischen Rückzug aus ihrer Rolle als selbsternannter Garant der Menschenrechte, bei gleichzeitiger Verschärfung militärischer Konfrontation an globalen Konfliktpunkten. Der neue Präsident George W. Bush ist die Verkörperung dieser Entwicklung: Die Amerikanisierung Russlands erwies sich als kostenspieliger Fehlschlag – Busch kürzte die Kredite.

Die NATO-Erweiterung, einschließlich des NATO-Einsatzes auf dem Balkan droht zu einer Stärkung Europas auf Kosten der USA zu führen – Busch verlangt schnellere Erfolge und stärkeres Engagement von den Europäern. Die strategische Partnerschaft mit China erwies sich als Entwicklungshilfe für einen strategischen Konkurrenten – die Neueinstufung Chinas vom strategischen Partner zum strategischen Konkurrenten war die erste Amtshandlung George W. Bushs. Busch gab die Vermittlerrolle im Naost-Konflikt auf und intensivierte stattdessen den Druck auf die arabischen und andere „Schurkenstaaten“. Zeitgleich zogen die USA sich aus internationalen Verpflichtungen der UNO, der UNESCO und ähnlicher Organisationen zurück. Der Kündigung des Klimavertrages ist nur der krasseste Ausdruck dieser Politik.
Die Zerstörung des WTC-Symbols und der Angriff auf das Pentagon mitten im Herzen der „einzig verbliebenen Supermacht“ lässt diesen lange gewachsenen Tatbestand urplötzlich ins Bewusstsein der Weltöffentlichkeit treten. Wenn die Europäer, noch mehr aber wenn Russen und wenn Chinesen der angeschlagenen Supermacht jetzt Hilfe beim Aufspüren der Terroristen versprechen, so tun sie das – ungeachtet aller diplomatischen Floskelei – allesamt unter einer Bedingung, nämlich dass sie von den USA konsultiert werden.

Aus Sicht der USA ist dies eine Zumutung, der sie sich in den letzten Jahren zunehmend entzogen haben. Jetzt befinden sie sich jedoch in einem Dilemma: Binden sie sich an Konsultationen, dann ist das ein Eingeständnis ihrer Schwäche, das die Positionen ihrer wichtigsten globalen Konkurrenten Europa, Russland, China nachhaltig stärkt, von anderen Mächten in diesem Zusammenhang erst einmal zu schweigen. Binden die USA sich nicht an die Konsultationen, verspielen sie den Kredit, den ihnen eben diese Konkurrenten jetzt noch zu geben bereit sind. Im schlimmeren Falle ziehen sie diese Mächte in einen Krieg, in dem deren Interessen und die der USA nicht nur nicht übereinstimmen, sondern einander entgegengesetzt sind.

China als potentieller Führer des aufstrebenden asiatischen Raumes unterhält praktisch mit allen Staaten, die seit Jahren auf der US-Liste der „Schurkenstaaten“ stehen, wirtschaftliche und politische Beziehungen. Just am Tage des Anschlags berichtete die pakistanische Presse sogar über Verhandlungen zu einem Handelsabkommen zwischen China und den Taliban.
Im zentralasiatischen Raum verfolgt China eine eigene Politik mit den muslimisch geprägten zentralasiatischen Staaten, um sie über Wirtschafts- Zoll-und Sicherheitsverträge an den asiatischen Raum zu binden.

Für Russland gilt Vergleichbares, mehr noch, gerade unter dem Präsidenten Putin hat die Ausrichtung der russischen Politik nach Süden und Osten eine starke Wiederbelebung erfahren: Nicht nur versucht Moskau seinen Einfluß in der GUS wieder geltend zu machen, es unterhält auch mit eben jenen Staaten, die sich auf den „Schurkenliste“ der USA wieder finden, dazu auch in zunehmendem Maße mit China, schon längere Zeit enge politische Verbindungen und agiert neuerdings auch zunehmend wieder als potenter Waffenlieferant. Die in letzter Zeit oft besprochene relative Stabilisierung Russlands ist abgesehen von den ÖL-Dollars, die das Staatsbudget zu einem Drittel füllen, auch ein Ergebnis dieses wieder gewachsenen russischen Rüstungexports.
Noch komplizierter wird es, wenn wir uns dem von den USA angepeilten Konfliktzentrum Afghanistan nähern.

Zwar erklärte Wladimir Putin seine Bereitschaft, die USA bei der Bekämpfung des von Taliban gedeckten Osama bin Laden zu unterstützen. Dies Interesse ist insoweit real, als Moskau die Taliban und Bin Laden beschuldigt, die radikalen tschetschenischen Kämpfer mit Personal und Waffen zu beliefern. Hier aber hören die Gemeinsamkeiten zwischen Moskau und Washington bereits auf, denn erstens sind die materiellen Interessen Russlands und der USA , vor allem Öl, in der kaukasischen und kaspischen Region einander diametral entgegengesetzt und zweitens kann Russland im Unterschied zu den USA keinerlei Interesse an einer Destabilisierung des kaukasischen und zentralasiatischen Raumes haben.
Destabilisierung aber droht, wenn Russland und die USA, die bis 1988 einen blutigen Stellvertreterkrieg auf dem Rücken der Afghanen austrugen, nunmehr in einer gemeinsamen Militäraktion gegen die talibanische Regierung vorgingen. Die Taliban müssten ihren Nachbarn nicht erst den „heiligen Krieg“ für den Fall einer solchen Unterstützung der Amerikaner androhen – eine Eskalation der Konflikte in dem Raum wird auch ohne Zutun der Taliban die Folge einer solchen Aktion. Sie werden aber auf jeden Fall die Früchte der Verzweiflung radikalisierter Menschen ernten.

Was Tschetschenien anbetrifft, so gibt es starke Anzeichen dafür, dass die russische Regierung nach einem Ausweg sucht, der ebenfalls nicht geeignet ist, mit den Amerikanern eine Front zu bilden. Im Gegenteil: Neuerdings kommen politische Konzepte zur Lösung des tschetschenischen Problems in die russische Diskussion, die aus der ideologischen Küche der sich selbst so nennenden neo-eoroasiatischen Bewegung stammen. Deren Wortführer, Alexander Dugin, definiert Russland nicht nur als Macht zwischen Asien und Europa, was ja richtig ist und bei vielen RussinnEn, die nach neuer Identität suchen, heute in den Vordergrund rückt, sondern er definiert Weltpolitik als grundsätzliche Konfrontation zwischen dem territorial-euro-asiatischen und dem maritim-atlantischen Block, kurz gefasst, zwischen Russland als potentiellem Führer des euroasioatischen und den USA als Führungsmacht des atlantischen Blocks.

Neuerdings findet Alexander Dugin, der zu Perestroikazeiten als nationalistischer Extremist galt, nicht nur offene Ohren in Russlands neuen Eliten, er avancierte auch zum Berater und Organisator von politischen Kongressen im Dunstkreis Wladimir Putins. Die von ihm gegründete „Euro-asiatische Bewegung“ ist dabei, sich mit Staatsmitteln im Land zu verbreiten.
Nach Dugins Lesart, so im Mai dieses Jahres auf einem von der Regierung offiziell getragenen Kongreß über Probleme des Islam in Russland diskutiert, sind russische Muslime, insonderheit die tschetschenische Bevölkerung nicht als Gegner zu bekämpfen, sondern als Partner in eine euroasiatische Front gegen Amerika einzubeziehen. Es versteht sich, dass diese Linie, die zunehmend Anhänger im Umfeld Wladimir Putins zu finden scheint, mit einer militärischen Unterstützung amerikanischer Vergeltungsmaßnahmen gegen „die“ Taliban nur schwer zu vereinen wäre.

So wird es auch niemanden verwundern, dass der russische Außenminister Iwanow ebenso wie ranghohe russische Generale eindeutig erklärt haben, eine militärische Unterstützung der USA komme nicht in Frage. Ähnliche Verlautbarungen sind auch aus China zu hören. Aber selbst die von der NATO verpflichteten Europäer, allen voran die Franzosen und die Deutschen, sind nicht bereit, sich von den USA in einen Krieg ziehen zu lassen, der ihnen nicht nützt.

Dies alles bedeutet, dass der amerikanische Krieg, wenn er denn stattfindet, nicht zu einer Stärkung der USA, sondern zu deren weiterer Schwächung führen wird. Am Horizont dieser Schwächung erscheint eine multipolare Weltordnung getragen von China, Russland, Europa, der arabischen Welt und weiteren Machtzentren, in welcher die USA nicht mehr die „einzig verbliebene Weltmacht“. sondern eine Macht unter mehreren sind. Besser wäre es, den Weg dorthin, da er doch unvermeidlich ist, nicht militärisch, sondern politisch zu gehen.

Kai Ehlers

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