Im Russland Putins – kein Platz mehr für die Rechte?

Der 20. April 2002, der Tag an dem Adolf Hitler geboren wurde, war in diesem Jahr auch in Russland Anlass zur Sorge: Krawalle von Nazi-Skins waren zu befürchten. Kaukasier, Asiaten, abfällig unter „Tschornije“ subsumiert, Schwarze, „Nicht-Russen“, „Nicht-Weiße“, mussten Angst haben, an diesem Tag auf der Straße totgeschlagen zu werden, so wie es im letzten Jahr geschah. Organisationen wie die Kaukasische Gesellschaft und andere ethnische orientierte Kulturzentren forderten ihre Gemeinden auf, an diesem Tag die Straße zu meiden. Die Botschaften der GUS-Länder appellierten im Vorraum an die russische Regierung, dem rassistischen Spuk auf Russlands Straßen entgegenzuwirken. Wladimir Putin persönlich warnte kürzlich vor einem Anwachsen des Rassismus und kündigte die Vorlage eines Gesetz gegen den „Extremismus“ in der Duma an.
Aber die befürchteten Krawalle rechtsradikaler Skins und anderer nationalistischer, bzw. nazistischer Gruppierungen blieben dieses mal aus, offenbar eingeschüchtert von der massiven Polizeipräsenz in den Metropolen und an einigen Orten auch der erkennbaren Bereitschaft der Bevölkerung, dem rassistischen Spuk schlagkräftig entgegenzutreten. Eine generelle Auseinandersetzung mit dem grassierenden nationalistischen Chauvinismus sucht man vergebens. Tschetschenen und mit ihnen andere Kaukasier sind in der zur Zeit gesellschaftsfähigen Sprachregelung immer noch schlichte Betrüger, wenn nicht gleich Verbrecher und Terroristen.
Vorgänge wie diese werfen die Frage auf: Kann es in Russland einen Nationalismus neben Wladimir Putin geben? 1985, als Michail Gorbatschow den sowjetischen Juden als Ersten die Genehmigung zur Ausreise erteilte, 1989 als er der deutschen Einigung zustimmte, 1991 als Boris Jelzin die Sowjetunion auflöste – da schwappte eine Welle des Nationalismus und des Antisemitismus durch die russische Gesellschaft.
Bilder marschierender russischer Nazis schockierten die westliche Presse. Die „Pamjat“-Gruppen des Monarchisten und Antisemiten Dimitri Wassiljew, sehr bald auch die paramilitärisch organisierten, sich offen zum Faschismus bekennenden Banden der „Russischen nationalen Einheit“, RNE und eine Unzahl weiterer Gruppen schossen wie Pilze aus dem Boden. Auch der Rückzug Boris Jelzins vom ersten tschetschenischen Krieg 1996 trieb den nationalistischen Gruppen noch einmal Mitglieder zu. Über dreißig „Nationalpatriotische Organisationen“ listete das „antifaschistische Komitee“ Moskaus in seiner ersten, von der Moskauer Stadtduma finanzierten Veröffentlichung 1996 auf. Verantwortlich zeichnete Jefgeni Proschtschetschin, als Chef des Komitees zum Abgeordneten und Leiter der „Kommission gegen Extremismus“ gewählt.
Die meisten nationalistischen Gruppen blieben zahlenmäßig klein; die RNE dagegen zählte sich selbst in ihren Hochzeiten 1998/9 hunderttausend (100.000) Mitglieder zu; zehntausend (10.000) dürften es tatsächlich gewesen sein, hauptsächlich in den Metropolen St. Petersburg und Moskau, aber auch in größeren und mittleren Städten der Regionen.
In der letzten Veröffentlichung der „Antifaschistischen Komitees“, kurz vor den Duma-Wahlen im Oktober 1999 und den Präsidentwanhlen 2000 hat sich die Zahl der nationalistischen Gruppen auf über hundert erhöht, was allerdings mehr auf intensivere ideologische Aktivität und daher Differenzierung der Gruppen als zahlenmäßiges Wachstum der Szene zurückzuführen ist. Zudem hält das „Antifaschistische Komitee“ es zu dem Zeitpunkt für angezeigt, neben dem Nationalismus auch die ansteigende Xenophobie als Kriterium des wachsenden Radikalismus anzuführen und dabei nunmehr auch die Rolle der Kirche in ihrer Liste mit abzuhandeln. Popen der orthodoxen Kirche segnen nicht nur die Waffen russischen Soldaten in Tschetschenien, viele ihrer Vertreter sind auch direkt in rassistische, antisemitische und nationalistische Propaganda verstrickt.
Die RNE trat 1999 unter dem Deckmantel „Spas“, Rettung, sogar zu den Wahlen mit an. Die hakenkreuzähnlichen Symbole und Parolen der RNE gehörten in Städten wie Moskau und St. Petersburg zu der Zeit zum alltäglichen Stadtbild. Erst im letzten Moment wurde die „Spas“ von der Teilnahme an der Wahl ausgeschlossen – aus wahltechnischen Gründen, nicht wegen ihrer politischen Inhalte.
Heute, zwei Jahre nach diesem Höhepunkt nationalistischer Aktivitäten ist von der RNE selbst in der Öffentlichkeit nicht mehr viel zu sehen. Auch von Seiten des „Antifaschistischen Komitees“ und der „Kommission gegen Extremismus“ ist öffentlich nicht mehr viel zu hören: Die letzte ihrer nach 1966 fast jedes halbe Jahr erscheinenden Broschüren haben sie im Jahr 1999 herausgegeben. Seitdem ist öffentliche Funkstille. Die Gesetzes-Vorschläge der Kommission liegen unverabschiedet in der Duma.
Was ist geschehen? Ist Nationalismus plötzlich keine Gefahr mehr in Russland? Jefgeni Proschtschetschin, nach wie vor Leiter des „antifaschistischen Moskauer Komitees“, aber kein Abgeordneter der Moskauer Stadtduma mehr, skizziert die neu entstandene Lage so: Die RNE hat sich nach ihrem gescheiterten Wahlabenteuer gespalten; Parteigründer und -führer Alexander Barkaschow wurde von der Mehrheit ausgeschlossen, die sich für einen Kurs der der Anpassung an das putinsche Regime entschied. Alexander Barkaschow setzte seinen Kurs in einer Gruppe namens „Wache Barkaschows“ fort. Im Ergebnis sind Auftritte und Parolen der RNE, die 1999 in Städten wie Moskau und St. Petersburg zum alltäglichen Stadtbild gehörten, weitgehend aus der Öffentlichkeit verschwunden.
Gleichzeitig, so Jefgeni Proschtschetschin, wächst die allgemeine Xenophobie, benutzt eine Reihe von Abgeordneten der Schirinowski-Partei und des rechten Flügels der KPRF die Strukturen der Staatsduma, um tonnenweise antisemitische, nationalistische bis offen faschistische Presse, Literatur, Lieder und einschlägige Videos im Lande, vor allem in den Armeeeinheiten zu verteilen.
Anstelle früherer offener RNE-Aktivitäten häufen sich, vor allem in Moskau, die Überfälle radikalisierter Skinheads auf nicht-ethnische Russen, vor allem Kaukasier. Einen der letzten Vorfälle dieser Art gab es Anfang November 2001, als ein Trupp von gut 300 Skinheads mit Knüppeln und Stahlruten bewaffnet drei Märkte in den äußeren Rändern Moskaus überfiel, wo die meist kaukasischen Händler zusammengeschlagen wurden. Ergebnis: Zwei Tote und mehr als zwanzig Schwerverletzte.
Ein halbes Jahr zuvor, zu „Führers Geburtstag“ am 20. April, hatten ebensolche Horden bei einem ähnlichen Überfall einen in Moskau heimischen Tschetschenen erstochen.
Die Gruppen rekrutieren sich aus radikalisierten Jugendbanden der Vorstädte, welche die Propaganda Wladimir Putins gegen tschetschenische Banditen und die des Moskauer Bürgermeisters Luschkow gegen die „Gesichter kaukasischen Ursprungs“ als Aufforderung verstehen, Russland von den „Schwarzärschen“ zu befreien und eine „Herrschaft der Weißen“ zu errichten.
Die Moskauer Polizei spricht von Fußballkrawallen. Augenzeugen berichten dagegen von RNE-Abzeichen auf den Skin-Westen. Auch andere Nazi-Gruppierungen wirken in die Szene hinein oder sind direkt mit ihr verwoben, wie kürzlich bekannt gewordene Enthüllungen einer Moskauer Journalistin erneut belegen. (siehe Kasten) Der Moskauer Bürgermeister Juri Luschkow, der nach den Bombenanschlägen auf Moskauer Hochhäuser vor zwei Jahren mit entsprechenden Verordnungen die Jagd auf die Kaukasier eröffnet hatte, hielt es nach den Vorgängen im November 2001 immerhin für nötig, von einer „gut vorbereiteten Aktion“ zu sprechen. Er forderte den Einsatz von mehr V-Leuten, um die Szene ruhig zu halten. Das ist in diesem Jahr offensichtlich gelungen. Ob das von Wladimir Putin angekündigte Gesetzt kommen wird – und wie es aussegen wird – ist dagegen offen.
Die entscheidende Entwicklung der letzten anderthalb Jahre liegt ohnehin nicht in den Skin-Krawallen, sondern im Aufsteigen der nationalen Rechten zu offiziellen Stichwortgebern der neo-imperialen Renaissance Russlands. Exemplarisch dafür ist die Karriere Alexander Dugins, der nur ein halbes Jahr nach der Wahl eine „Eurasische Bewegung“ gründete: Alexander Dugin, seinem Selbstverständnis nach „Geopolitiker“, der Russland als Führungsmacht im prinzipiellen Gegensatz zu den von Amerika geführten atlantischen Mächten definiert, galt zu Zeiten der Perestroika als marginalisierter national-bolschewistischer Extremist. Als Chefredakteur einer obskuren Zeitschrift namens „Elemente“ entwickelte er seine kruden Theorien einer mystischen Mission Russlands, das sich als Fortsetzung eines „Dritten Rom“ gegenüber dem zersetzenden Westen behaupten müsse, um die Welt zu retten. Seine Theorien fußen u.a. auf Arbeiten der deutschen „konservativen Revolution“ der 30er Jahre des letzten Jahrhunderts, den ideologischen Wegbereitern Hitlers. Dugins strategische Vision ist eine deutsch-russische Achse, an der die euro-asiatische und davon ausgehend die ganze Welt genesen könne. Hitler kritisiert er nur deswegen, weil er die strategisch falsche Entscheidung getroffen habe, Stalin zu bekämpfen, statt mit ihm zusammen den Westen, speziell die USA zu unterwerfen.
Für seine Theorien instrumentalisiert Alexander Dugin zudem die Vorstellungen der sowjetischen „Euro-Asiatiker“, die in den 30er Jahren die Vision von Russland als einer christlich-sozialistischen Ordnungsmacht des euro-asiatischen Kontinents entwickelt hatten. In Dugins Neuauflage schrumpfen die Theorien der klassischen Euro-Asiatiker allerdings zu einer reinen neo-imperialen, zudem noch antisemitisch durchsetzten Ideologie.
In den ersten Jahren der Ära Jelzin gehörte Alexander Dugin zur national-bolschewistischen Opposition, war er Autor in der Zeitung „Djen“, der Tag (nach 1993 „Sawtra, der Morgen) des ewigen Oppositionärs, „National-Patrioten“ und Antisemiten Alexander Prochanow. Über „Sawtra“, die meistgelesene Wochenzeitung des national-patriotischen Lagers, agitierte er aktiv gegen den liberalen Kurs Boris Jelzins sowie generell gegen den globalen Neo-Liberalismus. 1993 gehörte Alexander Dugin zu den „Verteidigern des weißen Hauses“, die Boris Jelzin von Panzern zusammenschießen ließ.
Gegen Ende der Jelzin-Zeit hatte Alexander Dugin sich zu einem der wichtigen Berater des kommunistischen Duma-Präsidenten Selesnjow heraufgearbeitet. Als Wladimir Putin gewählt wurde, sah Alexander Dugin auch seine Stunde gekommen. Er begrüßte Putins Kriegskurs als richtigen Schritt zur Wiederherstellung des Imperiums: nur ein halbes Jahr später war die „Euroasiatische Bewegung“ gegründet. Sie verfügt in Moskau heute über ein herrschaftlich ausgestattetes Büro, das heißt, über offizielle Gelder, und über Regionalgruppen im ganzen Land.
In den wenigen Monaten ihres Bestehens organisierte die „Bewegung“, unterstützt vom Präsidialamt Putins und der Staatsduma zusammen mit hochrangigen Vertretern der Kirche, ebenso des Islam eine Konferenz zum Islam, welche u.a. die Teilung Tschetscheniens als Lösung des tschetschenischen Problems propagierte. Verständigungslinie zwischen tschetschenischen und russischen Teilnehmern dabei war: das Bündnis euroasiatischer, von Russland geführter Partner gegen fremde atlantische, das heißt westliche, amerikanische Kräfte.
Weitere Konferenzen dieser Art zu wirtschaftlichen und sozialen Fragen fanden in den Regionen statt. Unter dem Label des „Euroasiatismus“ arbeitet Alexander Dugin erfolgreich daran, einen Focus für eine neo-imperiale Orientierung Russlands herauszubilden, der sich als Gegenstück zum Think-Tank der USA und seiner Strategen Brseszinski, Kissinger, Huntington und anderen versteht. Dem Schlagwort vom „Kampf der Kulturen“ setzt Alexander Dugin das von der „Synthese der Kulturen“ entgegen, der „Globalisierung“ die Kritik am Neo-Liberalismus und die Propagierung der „nationalen Vielfalt unter einem euroasiatischen Dach“.
Dies alles ist auf dem Hintergrund möglich, dass Russland sich geografisch wie historisch tatsächlich zwischen Asien und Europa definiert, dass Wladimir Putin, anders als zuvor Michail Gorbatschow und auch noch Boris Jelzin, eine Politik zwischen Asien und Europa zu entwickeln versucht und dass sich eine weltweite Kritik an der neo-liberalistischen Globalisierung, insonderheit der USA entwickelt.
Unter Ausnutzung dieser Tatsachen hat Alexander Dugins unermüdliche Propaganda alle Aussichten, für das putinsche, ggflls. auch für das nach- putinsche Russland zu einem ideologischen Treibsatz zu werden, in dem der imperiale Explosivstoff in einem scheinbar ungefährlichen Gemisch aus Kritik an der Globalisierung und Eintreten für eine multipolare und sogar multikulturelle Welt versteckt wird.

(aus einem Artikel von Uli Heyden, Moskau)

Unter Experten steht lange fest, dass hinter der jugendlichen Skinhead-Gewalt Erwachsene stehen. Einer der Ideologen der Moskauer Skinheads, der Vorsitzende der Volksnationalen Partei, Aleksandr Sucharewskij, verglich die Skinhead-Bewegung in einem Interview gegenüber dem Fernsehsender NTW, mit der Reaktion eines kranken Organismus. Die Bewegung zeige, dass die Gesellschaft noch gesund sei. Sucharewskij träumt von einer „weißen Revolution“, der Deportation „aller Zugezogenen“ und einer Konföderation der „arischen“ Staaten Russland, Deutschland und Dänemark.
Auf Sucharewskij´s Skinhead-Partei liegt ein schwerer Verdacht. Alles spricht dafür, dass die Volksnationale Partei die Pogrome gegen von Kaukasiern geführte Freiluftmärkte, bei denen es zu mehreren Toten kam, organisierte. Eine Reporterin der auflagenstarken Tageszeitung „Moskowkij Komsomolez“ wollte es genau wissen und beantragte die Mitgliedschaft in der Partei. Ihr Bericht schlug wie eine Bombe ein. Im Parteibüro wird sie von dem jungen Aktivisten Salasar „aufgeklärt“. „Die Neger, die in Moskau herumlaufen, beleidigen mein ästhetisches Gefühl. Man muss sie schlagen, damit sie verstehen, wer der Herr im Haus ist. Wenn Du einen schlägst – machst Du zehn anderen Angst. Wir brauchen einen Krieg. Er läuft schon, nur wird davon nicht gesprochen. Die Polizei verschweigt solche Fälle. Manchmal kommt ein Fall an die Öffentlichkeit. Man will die Nazmen (nationalen Minderheiten, Red.) nicht verängstigen. Aber wir prügeln und werden weiter prügeln.“
Mit Photos belegte die Reporterin, dass die jungen Skinheads zweimal in der Woche vor den Toren der Hauptstadt auf einem Trainingsgelände der OMON-Spezialeinheiten von Behörden-Mitarbeitern im Nahkampf ausgebildet werden. Zur Zeit werden die Vorwürfe der Journalistin, die sich auf eine längere Auslandsreise begeben hat, von der Generalstaatsanwaltschaft geprüft.

 

 

www.kai-ehlers.de

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