NGOs in Russland: Achtung: Grenzüberschreitung?

Wiederholt kündigte Wladimir Putin im Laufe des letzten Jahres schärfere Kontrollen der Arbeit russischer und ausländischer NGOs in Russland an. Nach den Ereignissen von Beslan im September 2003 sprach er offen von „ausländischen Mächten, die uns zum Spielball Ihrer Interessen machen“ wollen. In seiner Rede an die Nation vom Anfang des Jahres 2005 erklärte er, die Interventionen des Auslands, die über NGOs getätigt würden, seien für Russland nicht weiter hinzunehmen.
Jetzt scheint die Duma seine Ankündigungen umsetzen zu wollen: Am 23. November 2005 verabschiedete sie mit 370 zu 18 Stimmen in erster Lesung eine Gesetzesvorlage zur Tätigkeit „Gesellschaftlicher Organisationen“, die auf eine drastische Einschränkung der Aktivitäten von NGOs zielt, vor allem der in Russland tätigen ausländischen, bzw. vom Ausland unterstützten.
Vehement protestierten über 1300 Organisationen. Der Menschenrechtsbeauftragte Lukin forderte die Duma auf, von weiteren Lesungen der Gesetzesvorlage abzusehen; ebenso der „Rat für gesellschaftliche Fragen“, der erst nach Beslan als Vermittler zwischen Regierung und zivilgesellschaftlichen Bewegungen geschaffen worden war. Selbstverständlich sorgen sich westliche Regierungen.
In der russischen Regierung sind die Meinungen geteilt, Finanz und Justizministerium tragen den Entwurf. Eine Gruppe von Bürgerrechtlern, die vor der Duma gegen die Entwicklung eines „Polizeistaats Russland“ demonstrierte, wurde festgenommen; ihnen droht ein Verfahren wegen „Widerstands gegen die Staatsgewalt“. Das Ministerium für Wirtschaftsentwicklung jedoch ist gegen die Duma-Initiative. Präsident Putin verteidigte den Dumabeschluss: Politische Tätigkeit des Auslands in Russland, so Putin, müsse stärker kontrolliert werden, erklärte er. Von einer Aushöhlung der Zivilgesellschaft könne nicht die Rede sein. Er selbst werde dafür Sorge tragen. Politische Aktivitäten in Russland müssten für den Staat jedoch transparent sein, das gelte besonders für Finanzierung politischer Aktivitäten durch das Ausland, wenn sie über öffentliche Kanäle anderer Staaten laufe, „und wenn in unserem Land tätige Organisationen als Instrument der Außenpolitik anderer Staaten benutzt werden.“ Ungeachtet der öffentlichen Proteste und solcher putinscher Differenzierungen will die Duma die 2. und 3. Lesung jedoch am 9. Dezember durchführen; zum 1. Januar 2006 soll das Gesetz in Kraft treten.
Die „Heimlichkeit des Vorgehens“, die „Eile im Gesetzgebungsprozess und andere Begleitumstände“, meint Jens Siegert vom Moskauer Büro der Böllstiftung, erinnere an eine „Spezoperazija“, eine Geheimdienstoperation; im selben Zuge berichtet er allerdings, dass der Antrag von allen fünf in der Duma vertretenen Fraktionen gemeinsam eingebracht wurde. Ausgerechnet Abgeordnete der KP, hört man von anderer Seite, hätten besonders die geplanten Einschränkungen für ausländische, bzw. mit ausländischem Geld geförderte NGOs begrüßt.
Ähnlich widersprüchlich sieht es bei den tatsächlichen Änderungen aus, die das Gesetz bringen soll: Für die russischen NGOs, meint Siegert, werde es wohl „zusätzliche Arbeit“ und „erweiterte staatliche Kontrollmöglichkeiten“ bringen, „aber trotz allem nichts grundsätzlich Neues.“ In der Tat, der größte Teil der Bestimmungen findet sich in ähnlicher Form bereits in einer Reihe von Gesetzen, die während der Amtszeit Putins entstanden sind. So der Steuerkodex oder das Gesetz zum Kampf gegen den Terrorismus. Nach den geltenden steuerrechtlichen Bestimmungen muss sich nicht nur jeder Empfänger auf einer nationalen Liste als steuerabzugsberechtigt ausweisen, es muss auch jedes einzelne Projekt vom Geber her als Non-Profit unternehmen erfasst werden. Andernfalls sind auf alle Gelder 24% Steuern, zusätzlich lokaler Sondersteuern zu entrichten. Zusätzlich muss die Zustimmung der örtlichen Behörden eingeholt werden, die die örtliche Aktivität der NGOs als steuerlich unbedenklich anerkennen müssen.
Dem steht die Entwicklung von Bürgerinitiativen gegenüber, die sich in den letzten Jahren in Russland selbst entwickelt haben. Die erste Stiftung dieser Art wurde als „Fonds der örtlichen Gemeinschaft“ 1998 in Togliatti gegründet; 2004 gab es laut einer Studie des deutschen Maecenata-Institutes bereits fünfzehn dieser Initiativen in den verschiedensten Regionen der Föderation. Die „Fonds der örtlichen Gemeinschaft“, so das Institut, verstehen sich als „Stiftungen, die sich fördernd und operativ für das lokale Gemeinwohl einsetzen. Sie verfolgen einen breiten Stiftungszweck und betreiben einen langfristigen Vermögensaufbau. Sie sind in politischer, wirtschaftlicher und konfessioneller Hinsicht unabhängig und werden von einer Vielzahl und Vielfalt von Stiftern und Stifterinnen errichtet und getragen.“ Auch diese Stiftungen, so der Bericht, litten unter dem zunehmenden steuerrechtlichen Würgegriff; durch ihre „lokale und soziale Bezogenheit und ihren unmittelbar einsehbaren Nutzen wie auch durch die Vielfalt der in sie eingehenden lokalen, bzw. regionalen, d.h. also in großem Umfang auch russischen finanziellen und operativen Initiativen“ seien sie aber weniger gefährdet als die von zentralen und ausländischen Geldern abhängigen klassischen NGOs. Offen sei allerdings, was geschehen werde, wenn sich die Bürgersstiftungen politischen Fragen wie Aktivitäten zu Menschenrechten, zum Zivildienst, zum Presseschutz u.ä. zuwenden würden. Diese Anmerkung betraf vor allem die wachsende Zahl von Stiftungen, NGOs und Bewegungen, die aus Geldern der Stiftung „offenes Russland“, also seitens Yukos und seines Chefs Chodorkowski finanziert wurden.
Hier soll das neue Gesetz offenbar ansetzen: Neu wäre eine Aufteilung, da ist Siegbert zu folgen, zwischen NGOs, die unter Beteiligung staatlicher Stellen gegründet worden und solchen, die aus Privatinitiativen hervorgegangen seien. Die meisten der vorgesehenen Einschränkungen gälten nur für letztere. Das träfe vor allem für die Bestimmung zu, dass künftig NGOs geschlossen werden könnten, wenn ihre Gründer wegen Geldwäsche oder anderer Wirtschaftsvergehen rechtskräftig verurteilt worden seien. Diese Bestimmungen zielen, das ist offensichtlich, eindeutig auf die von Chodorkowski gegründete Stiftung „Offenes Russland“, mit der er mit Blick auf die Wahlen 2008 Politik machen möchte, wie er soeben aus seiner sibirischen Lagerhaft deutlich gemacht hat. Mit den neuen Bestimmung wäre jegliche Initiative, die Chodorkowski in Gang setzen könnte, von vornherein im Keim zu ersticken. Neu wäre zudem noch, dass bisher informell arbeitende Gruppen künftig verpflichtet werden sollen, spätestens ein halbes Jahr nach Beginn Ihrer Aktivitäten die Behörden von ihrer Existenz zu unterrichten, obwohl offen bleibt, wer in diesem Fall konkret meldepflichtig und juristisch verantwortlich sein soll.
Kurz, den russischen NGOs, einschließlich der nur wirtschaftlich orientierten, würde die selbstständige Tätigkeit weiter erschwert; das ist unbezweifelbar. Das erklärt die Opposition aus dem Wirtschaftsressort. Hauptadressat der geplanten Maßnahmen sind jedoch die ausländischen Organisationen. Ihnen soll untersagt werden, Filialen in Russland zu bilden, wenn sie nicht von russischen Staatsbürgern getragen werden. Weiterhin sollen ausländische Filialen sich zukünftig nach russischem Recht registrieren lassen; Ausländern, die keine mehr als einjährige Aufenthaltserlaubnis vorweisen können, soll die Gründung russischer NGOs, die Mitgliedschaft oder das Engagement in ihnen nicht erlaubt sein. Wieder ins Spiel kommt der nach 1991 aufgehobene Begriff der „verbotenen Städte“, in denen militärische oder nukleare Anlagen stehen. Zweiundvierzig solcher Städte sollen für NGOs tabu sein. Dies alles läuft auf ein Abwürgen ausländischer NGO-Einsätze hinaus. Auch da gibt es keine Zweifel. Gleichzeitig beschloss die Duma, fünfzehn Millionen Euro für „Maßnahmen zur Demokratisierung“ an russische NGOs fließen zu lassen, die sich für Menschenrechte außerhalb Russlands einsetzen, z.B. für die Unterstützung der russisch-sprachigen Minderheit im Baltikum. Dies alles liefe, wenn es denn tatsächlich durchginge, nicht nur auf ein Abwürgen ausländischer NGO-Einsätze hinaus, sondern auf eine Kriegserklärung auf informellem Niveau an die von Putin beklagten Kräfte der Intervention. Die Frage wäre dann nur noch, wem dieser Schritt mehr schadet, diesen Kräften, Russland oder beiden zugleich.

Kai Ehlers
www.kai-ehlers.de

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