Raketenstreit: Wille zur Hoffnung

Am 30. und 31. Juli sollen in Washington neue Zeichen im Raketenstreit gesetzt werden. Amerikaner und Russen wollen verhandeln. Moskau rechnet mit einem »positiven Ergebnis«. Was immer das sein könnte – schön wär´s. Man möchte es glauben; allen voran offenbar die russische Delegation. Zwar hat Präsident Putin, nachdem der US-Senat die Stationierung in Osteuropa jüngst zum staatspolitischen Ziel erhoben hat, mit einem Erlass reagiert, der die Aussetzung des KSE-Vertrages vorsieht, falls die USA nicht einlenken sollten. Aber der stellvertretende russische Außenminister Kisljak, der nun auch Verhandlungsleiter in Washington sein wird, teilte der Öffentlichkeit zugleich mit, man schlage die »Tür zum Dialog« nicht zu.

Nun ist es also so weit? Skepsis ist angebracht. Handelt es sich doch nicht nur um die Beseitigung eines Ausrutschers einer ungehobelten US-Diplomatie nach dem aus Zeiten des Kalten Krieges bekannten Motto »Erst entscheiden, dann verhandeln«, und auch nicht nur um die Mäßigung polnischer Eskalateure, die ihr eigenes Süppchen auf der US-Flamme kochen wollen. Nein, der aktuelle Raketen-Vorstoß der USA nach Osteuropa ist nur die Speerspitze einer lange geschmiedeten Waffe zur Herstellung konkurrenzloser US-amerikanischer Überlegenheit auf dem Gebiet konventioneller und nuklearer Rüstung.

Von Trumans »Eindämmungspolitik« nach dem Zweiten Weltkrieg über die Kuba-Krise in den 60ern, Reagans »Reich des Bösen« und Clintons Entwurf einer »nationalen Raketenabwehr« von 1999 bis zu dem von George W. Bush nach dem 11. September 2001 eröffneten »Krieg gegen den Terror« zieht sich die Strategie der Einkreisung Russlands als roter Faden durch die US-Politik.
Strategen wie Zbigniew Brzezinski oder Henry Kissinger haben als Ziel die Aufgabe benannt, den Zugriff auf Eurasiens Ressourcen-Reichtum und die globale US-Hegemonie durch Niederhaltung möglicher Konkurrenten – allen voran Russlands – langfristig zu sichern. Die Kündigung des ABM-Vertrages durch George W. Bush ist Ausdruck dieser Entwicklung. Durch sie wurde die Politik des strategischen Gleichgewichts zwischen Russland und den USA provokativ beendet. Aber Bush ist nur Vollstrecker. Sein Nachfolger oder seine Nachfolgerin könnte geschmeidiger sein; eine prinzipielle Wende der US-Politik ist jedoch nicht zu erwarten.

Die geplanten Raketenabwehr-Stationen der USA in Osteuropa sind mit der Aufforderung an die EU verbunden, sich dieser Strategie zu unterwerfen. Die bislang verweigerte Ratifizierung des KSE-Vertrags durch USA und EU und der Bruch der NATO-Zusagen, sich nicht nach Osteuropa auszudehnen, ergänzen dieses Bild. Die Raketenpläne der USA in Osteuropa sind nur ein letzter Schritt in einer langen Reihe gebrochener Versprechen der NATO. Hatte diese doch ebenso zugesichert, Osteuropa von ihrem Nuklearpotential frei zu halten. Die Raketen, die nun dort stationiert werden sollen, sind aber Bestandteil der nuklearen Erstschlagsstrategie der USA. Sie machen Europa zu ihrem Vorhof und bedrohen Russland. Die US-Pläne müssten nicht verhandelt, sondern strikt zurückgewiesen werden – von Russland und der EU gemeinsam. Russland ist gewillt, auf solche Einsicht zu hoffen.

Kai Ehlers

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