Sanktionen aus russischer Sicht: „Äpfel und Kartoffeln haben wir immer.“

„Endlich ein entschlossener Schritt“ das war der Kommentar meiner gegenwärtigen Gastgeber tief im Herzen Russlands, an der Wolga, abends um 21.00 Uhr vor dem Fernseher, auf dem im zweiten Programm die Abendnachrichten laufen.

Man ist schon müde von den sich seit Wochen wiederholenden Nachrichten über Sanktionen, die beschlossen wurden, neuen Listen, die in Vorbereitung sind, verschärften Maßnahmen, die angedroht werden. Wofür? fragt sich der russische TV-Zuschauer. Was haben wir getan? Wo liegt der Sinn?

Aber letztlich ist doch klar, so die einhellige Sicht der Dinge, gleich wen ich befrage, dass die Sanktionen auf die Dauer Russland nur stärker machen werden. Man erinnert sich an 1998, wie es nach dem großen Spekulationskrach vor sich ging. Es dauerte keinen Monat, da hatten die russischen Betriebe bereits die Initiative ergriffen. Überall, wo vorher nur Westprodukte zu kaufen waren, tauchten auf einmal „vaterländische“, also heimische Produkte auf. Und wie im Kleinen, so im Großen: Der Kapitalmarkt löste sich aus der Kreditgefangenschaft von IWF und Weltbank. Das Land kam wie frisch geduscht, glatt rasiert und neu eingekleidet aus dieser Krise hervor.

Nicht viel anders wird es jetzt laufen, davon sind alle überzeugt, mit denen ich gegenwärtig sprechen kann. Schon in den letzten Wochen wurden mehr russische Waren gekauft. Jetzt, nachdem Wladimir Putin per Erlass verordnete,  dass Westwaren aus Ländern, die Sanktionen gegen Russland verhängt haben, für ein Jahr nicht mehr eingeführt werden dürfen, ist der Markt frei für russische Waren. Und Putin wird, davon sind die Gesprächspartner überzeugt, gleich ob Frauen oder Männer, gleich ob in Moskau oder in der Region, auch die outgesourcten Gelder wieder nach Russland holen.

Und überhaupt, ließ sich ein Rentner in der Tagespresse mit einem Satz zitieren,  der beinahe ein Zitat aus einem gleichnamigen Buch von mir hätte sein können: Äpfel und Kartoffeln haben wir immer.

Es beginnt, kann man sagen, wieder einmal der aus der Geschichte bekannte, vergebliche Kampf des Westens gegen ein Russland, das immer dann stark wird, wenn es sich auf seine Autarkie besinnen muss – auf seine eigenen Ressourcen an Öl, Gas und anderen Rohstoffen einschließlich des unendlich weiten, in den letzten Jahren brachliegenden Landes zum einen und der seines traditionellen, wie die Nobelpreisträgerin Elinor Ostrom es nennen würde,  sozialen Kapitals zum anderen. Soziales Kapital – das ist in Russland die soziale Grundstruktur einer Gesellschaft, die sich immer noch in der lebendigen ergänzenden Familienwirtschaft ausdrückt, in der Datscha der Städter, im Hofgarten auf dem Lande. An den Grundelementen dieser russischen Selbstgenügsamkeit, dem Naturreichtum des Landes und der in die sozialökonomische Struktur bis in die Topografie des Landes eingewachsenen Fähigkeit und Bereitschaft zur Selbstversorgung seiner Bewohner und Bewohnerinnen,  sind bisher alle Versuche Russland in die Knie zu zwingen gescheitert.

Und daran, davon sind meine Gesprächspartner reihum überzeugt, wird auch der neue Versuch scheitern. Die Leidtragenden werden hauptsächlich die Europäer sein. Schade um sie, heißt es, das wäre alles nicht nötig.

Kai Ehlers, www.kai-ehlers.de