Argumente gegen den Krieg

Zur Beteiligung Deutschlands am NATO-Einsatz gegen Serbien

Was lange befürchtet war, ist eingetreten: Zum erstenmal seit dem Ende des zweiten Weltkrieges geht auch von deutschem Boden wieder ein Krieg aus. Die Bundesregierung begründet ihre Teilnahme an dem NATo-Krieg gegen Serbien als Nothilfe zur Verteidigung der Menschenrechte gegen die ethnischen Säuberungen durch einen Diktator Miloševiç. Die Befürworter des Krieges fühlen sich in der moralischen Offensive. Sie propagieren den Krieg als humanitäre Strafaktion. Wer damit nicht einverstanden ist, setzt sich Zweifeln an seiner moralischen Integrität aus. In einem Kommentar unter der Überschrift „Das Elend des Pazifismus“ bringt Günther Bannas, einer der Chefkommentatoren der „Frankfurter Allgeminen Zeitung“, die deutsche Beteiligung auf die Formel, in dieser Entscheidung habe die Erkenntnis „Nie wieder Auschwitz“ über den Satz „Nie wieder Krieg!“ gesiegt. Das gebe der Haltung Außenminister Fischers den moralischen Grund.

Was für eine Verkehrung! Was für ein Zynismus!
Lange schon war ja zu befürchten, daß die deutsche, genereller auch die europäische Intelligenz im Zuge der Verteidigung ihres materiellen und geistigen Besitzstandes in der Festung Europa eine reaktionäre Wende nehmen würde – daß es nun aber in dieser Form geschieht, ist doch eine Überraschung. Man hat sich, sofern man darüber nachdachte, diese Wende immer in der Form klassischer rechter Positionen vorgestellt – als irgendwie verdrehte Form von Ausländerfeindlichkeit und Rassismus, mit denen man die Grenzen Europas gegen den Ansturm aus den Armenhäusern des Globus abzuschirmen versuchen würde. Nun kommt sie aber in der Form der Verteidigung der westlichen Wertegemeinschaft daher, als Argumentation der Notwehr gegen Angriffe auf die Grundwerte der Menschenrechte und nicht nur alle Mächtigen der Welt, soweit sie die Zustimmung des Westens suchen, stimmen in diesen Chor mit ein, sondern auch eine mit Bildern des Entsetzens überschwemmte Bevölkerung.
Der Protest gegen den Krieg, schreibt der Kommentator der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, sei um so schwächer, je näher die tatsächliche Bedrohung des Friedens rücke. Gegen die geplante Stationierung der Mittelstreckenraketen in Europa hätten seinerzeit Millionen protestiert; gegen den Golfkrieg nur noch Hunderttausende; nun, da der Krieg direkt vor der Tür stehe und die eigenen Werte betreffe, sei nur noch eine verschwindende Minderheit dagegen. Das klingt plausibel, aber worin mißt sich die Nähe des Krieges in einer Zeit, in welcher Entfernungen auf Intervalle im Internet zusammenschnurren? Nähe oder Nicht-Nähe dieses Krieges kann doch nur aus den Inhalten bestimmt werden, für die er geführt wird. Und da sind wir mit der „Notwehr“ schnell beim Kern der Dinge, allerdings anders als die Urheber dieser Argumentation es glauben machen wollen:  Es handelt sich in der Tat um Notwehr – Notwehr aber nicht gegen einen vermeintlichen Usurpator. Erstens ist Milošewiç kein Usopator, er ist, ob es einem gefällt oder nicht, gewählter und von einem breiten Willen seines Volkes getragener Präsident. Ich sage deutlich, daß seine Politik mir nicht gefällt. Das ändert aber nichts an der genannten Tatsache. Notwehr ist der NATO-Einsatz auch nicht gegen die Verletzung der Menschenrechte – da gäbe es viele Anlässe für solche Einsätze, ganz abgesehen davon, daß das Eingreifen der NATO die humanitäre Katastrophe auf dem Balkan nicht verhindert, sondern die schon vorher erkennbar in diese Richtung weisende Entwicklung nur noch weiter eskaliert hat.
Der Krieg, schreibt Günther Bannas weiter, hat keine erkennbaren ökonomischen Ziele, wie sie der Irak-Krieg noch gehabt habe. Auch diese Behauptung klingt sehr plausibel. Aber erstens ist schon der Krieg gegen den Irak nicht nur ökonomisch zu erklären; schon dort spielen strategische Gründe eine mindestens ebenso entscheidende Rolle, nämlich, die säkulare Herrschaft Saddam Husseins als Bollwerk gegen den „fundamentalistischen Ansturm“ aus dem Osten und dem Orient zu halten, ihn gleichzeitig aber nicht zu stark werden zu lassen. Dahinter wird der grundsätzliche Anspruch der USA auf Weltherrschaft deutlich – die wirtschaftlichen Interessen sind darin enthalten.
Im Kosovo-Krieg sind die strategischen Ziele ganz in den Vordergrund gerückt. Hier wird von der NATO in der Tat nicht für vordergründige ökonomische Interessen gebombt, hier wird ein strategisch orientierter Einsatz exemplarisch vorgeführt. Hier läuft eine Dramaturgie dosierter Einsätze ab, die auf Wirkung in den Medien abgestimmt ist, ja, die ihre eigentliche Wirkung einer demonstrativen Machtentfaltung überhaupt erst und nur mit den Medien entfalten können. Hier wird moderne Kriegführung im Zeitalter der Kommunikation vorgeführt. Es ist ein konditionierter Demonstrationskrieg, der auf Warnung und Einschüchterung durch exemplarische Strafaktionen im Namen einer Weltpolizei setzt. Adressat sind alle diejenigen, die den nach dem Ende der Systemteilung erhobenen Anspruch der USA und der mit ihr verbündeten westlichen Staaten auf eine One-World-Ordnung nicht akzeptieren wollen, vor allem Rußland und China.
Die USA dürften darüberhinaus daran interessiert sein, eine aus ihrer Sicht zu enge Verbindung zwischen Europa und Rußland, insbesondere eine Achse Bonn-Moskau verhindern, bzw. wenigstens relativieren zu wollen. Das ist ihnen mit der Umgehung der UNO, was ja im Kern zunächst einmal eine Umgehung Rußlands ist, bisher weitgehend gelungen. Lange werden Rußland und auch die europäischen Mächte das allerdings so nicht mitmachen können.
Die Struktur der UNO werde offensichtlich den Anforderungen nicht gerecht, ethnische Minderheiten zu schützen, schreibt Günther Bannas weiter. Recht hat er. Das galt und gilt  ja auch schon für andere Konflikte. Aber kann die Schlußfolgerung daraus eine militärische Sellbstmandatierung der NATO sein? Damit wäre der Entwicklung einer gleichberechtigten Völkergemeinschaft der Weg versperrt, der  Übergang zu einer militärischen Weltordnung vollzogen. Es wäre der Übergang von der Zeit der Stellvertreterkriege in eine neue Zeit der exemplarischen Demonstrationskriege unter Führung einer einzigen Weltmacht, der USA und ihrer Verbündeten. Daß dies dem erklärten Ziel der NATO, die Menschenrechte durchsetzen zu wollen, im Wesen widerspricht, liegt auf der Hand. Ein solcher Weg ist prinzipiell nicht zu akzeptieren, abgesehen davon, daß Rußland, China und andere Mächte es politisch nicht hinnehmen können und daraus große Gefahren für den Weltfrieden entstehen. Die richtige Schlußfolgerung aus der Schwäche der UNO kann nur darin bestehen, sie selbst  ggflls. die OSZE zu stärken, nicht sie durch ein Militärbündnis des Westens zu ersetzen. Es ist aber offensichtlich, daß die gegenwärtigen politischen Entscheidungsträger der Westmächte dazu nicht bereit sind. Damit sind die Linien für zukünftige politische Auseinandersetzungen abgesteckt.
In Afrika, Asien und in der Türkei werden Minderheiten ebenso verfolgt, ohne daß die NATO eingegriffen habe, zitiert Herr Bannas weiter die Argumente der Kriegsgegner. Das stimme, räumt er ein, doch solle etwa der Grundsatz gelten, daß vor den Mördern alle Minderheiten gleich seien?
Eine Antwort auf diese Frage gibt Herr Bannas nicht, sowenig wie man sie sonst irgendwo von den Befürwortern des NATO-Krieges gegen Serbien hört. Die Antwort kann aber nur lauten: Ja, alle Minderheiten haben denselben Anspruch auf Schutz! Das ist ein zentraler Bestandteil der Menschenrechte. Eine Relativierung dieses Anspruches ist gleichbedeutend mit seiner Aufhebung. Das gilt ungeachtet,  ja, gerade wegen der traurigen Tatsache, daß die Welt, gleich wo, noch weit von der Verwirklichung dieses Grundsatzes entfernt ist.
Wenn man sich aber schon zum Anwalt der Durchsetzung dieser Rechte erklärt, dann kann es keine Ausnahmen geben, schlimmstenfalls die Unmöglichkeit, sie zu verwirklichen. Die opportunistische Handhabung dieser Prinzipien durch die NATO zeigt nur, daß die humanitären Argumente beliebigen, letztlich legitimatorischen Charakter tragen. Es geht bei den Bomben auf Serbien eben nicht in erster Linie um die Verteidigung der Menschenrechte – da hätte die NATO schon lange ihren Partner Türkei zur Ordnung rufen müssen. Es geht um die Erhaltung der atlantischen Hegemonie. Die Verteidigung der Menschenrechte ist nur die Fahne, unter der gekämpft wird, nicht anders als tausend Jahre zuvor das Kreuz, in dessen Namen die übrige Welt zwei Jahrhunderte lang  in sieben Kreuzzügen mit Krieg und Terror zum wahren Glauben bekehrt werden sollte, während es praktisch darum ging, die Handelswege in den Orient und den fernen Osten abzusichern.
Wer behaupte, es sei wenig mit Miloševiç verhandelt worden, fährt Herr Bannas in seiner Abrechnung mit den Pazifisten fort, der gehe einfach an der Wirklichkeit vorbei. Dem Argument, bei früheren Verhandlungen mit Miloševiç sei das Kosovo vergessen worden, hält er die Frage entgegen, ob man die Beendigung des Mordens in Bosnien-Herzegownia denn an der Frage des Kosovo hätte scheitern lassen sollen.     So reiht sich in der Argumentation der Kriegsbefürworter ein Sachzwang an den nächsten, aus dem schließlich nur noch die Eröffnung des Krieges habe herausführen können; nach derselben Logik ist seine Fortführung bis zur bedingungslosen Kapitulation Miloševiçs jetzt der einzige gangbare Weg, den Krieg zu beenden.
Für die gegenwärtige Lage macht es wenig Sinn, darüber zu rechten, was gewesen wäre, wenn; nur eins ist ein Fakt: Die Verhandlungen von Rambouillet scheiterten letztlich daran, daß die NATO darauf bestand, die Einhaltung der ausgehandelten Bedingungen von einem NATO-Kontrollorgan überwachen zu lassen. Warum konnte die NATO diese Kontrolle nicht der UNO, der OSZE oder einem neu zu bildenden Völkergremium überlassen? Die Antwort ist klar: Weil das alles nicht ohne Rußland gelaufen wäre. Mit Rußland hätten die Verhandlungen anders geführt werden können. Es ist offensichtlich, daß sich der Hund hier selbst in den Schwanz beißt. Ob Rußland jetzt, da die NATO schon tief in ihrer eigenen Falle steckt und nachdem es die ganze NATO-Aktion als Aggression auch gegen sich empfinden mußte, bereit ist, in die Verhandlungen wieder mit einzusteigen und zu welchen Bedingungen, das dürfte die entscheidende Frage beim Fortgang der nächsten Ereignisse sein.
Darüberhinaus ist festzuhalten, daß Eskalationslogiken von der Art des gegenwärtigen NATO-Krieges im Kosovo noch nie dazu geeignet waren, Probleme zu lösen. Wenn nach dem Bombardement aus der Luft zur Bekämpfung der Bodentruppen per Kampfhubschrauber übergegangen wird, so ist die Ausweitung des konditionierten Demonstrationskrieges in einen unkontrollierbaren Bodenkrieg, in dem die NATO gezwungen sein wird, zwischen einem Vernichtungskrieg gegen die ganze serbische Bevölkerung oder einer Kapitulation zu wählen, bald nicht mehr aufzuhalten. Wenn die NATO-Strategen auch nur einen Funken rationalen Verstandes bewahrt hätten, dann müßten sie den  Krieg stoppen, bevor er sich zum Volkskrieg ausweitet. Bedauerlicherweise aber sieht zur Zeit alles so aus, als ob sich nicht die Vernunft, sondern die militärische Eskalationsogik durchsetzt.
Bleibt am Schluß noch die Auseinandersetzung mit dem, was Günther Bannas die Tragik der Pazifisten nennt, nämlich, daß sie angesichts der Gewalt eines „barbarischen Faschischen“ Schuld auf sich lüden, wenn sie schuldlos bleiben wollten. Mit dem Faschisten ist Miloševiç gemeint, wobei Herr Bannas den „barbarischen Faschisten“ aus unerklärlichen Gründen in Anführungsstriche setzt, unerklärlich deshalb, weil die FAZ sich mit dieser Klassifizierung des Serbenführers Miloševiç als „Faschist“ ganz und gar im Sprachgebrauch der NATO-Verlautbarungen aufhält:  Der deutsche Verteidigungsminister Scharping spricht nur noch von dem Kriegsverbrecher Miloševiç, der britische Außenmninister sieht die NATO in einem prinzipiellen „Kampf gegen das Böse“, Außenminister Joseph Fischer beschwört die Gespenster von Auschwitz.
Aber kann man das Böse bekämpfen, indem man die Menschen zum Guten zu zwingen sucht, wie seinerzeit die Kreuzritter? Diese Frage läßt mindestens ein so großes Dilemma deutlich werden, wie das der Pazifisten, die mit ansehen müssen, wie vor ihren Augen Terror verübt wird. Da ist die Frage, wessen Schuld größer ist, derer, die durch ihre pazifistische Haltung womöglich Terror zulassen oder derer, die vorhandenen Terror durch Gegenterror möglicherweise eskalieren, wohl kaum noch zu beantworten. Es bleibt nur eins, nach den Interessen zu fragen, die hinter den Handlungen der Menschen stehen, gleich, ob Pazifist oder nicht. Und was dies betrifft, erhebt sich am Ende aller humanitären Legitimationen dieses Krieges doch die Frage an die NATO: Warum wird Miloševiç ein Faschist genannt und bombardiert, aber andere Staatsoberhäupter, die ebenfalls für Völkermord, Vertreibungen oder die blutige Unterdrückung der Opposition im eigenen Lande verantwortlich sind, nicht? Erst wenn die NATO diese Frage beantworten würde, könnte sie glaubwürdig werden, aber dann wäre sie auch schon nicht mehr die NATO. Statt auf Einsichten in den Reihen der NATO, auch ihrer deutschen Teilhaber zu hoffen, bleibt nur das eigene, unbedingte Nein! zu einer gewaltsam hergestellten NATO-Weltherrschaft und das Ja! zu einem demokratischen, erneuerten Völkerbund, der einer sich wandelnden Welt vielfältigen Ausdruck verleiht.

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