Interview: Saakaschwili hatte Rückendeckung der USA

Erscheinen in: Telepolis

„Saakaschwili hatte die Rückendeckung der USA“
Von Harald Neuber
Wie es zu dem Krieg im Kaukasus kommen konnte, wer von ihm profitiert und wie die Perspektive aussieht. Ein Interview mit Kai Ehlers (http://www.kai-ehlers.de)
Telepolis sprach mit Kai Ehlers – Publizist, Transformationsforscher und Autor zahlreicher Bücher über den postsowjetischen Raum
Herr Ehlers, der Fünf-Tage-Krieg zwischen Georgien und Russland ist vorerst beendet, nun sind die Diplomaten am Zug: Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel ist ebenso in die Region gereist wie der französische Präsident Nicolas Sarkozy und die US-amerikanische Außenministerin Condoleezza Rice. In der europäischen Presse wird die Krise um Südossetien gemeinhin als Wiederauflage des Kalten Krieges gesehen. Sind Sie mit dieser Interpretation einverstanden?
Nein, ich bin damit überhaupt nicht einverstanden. Meiner Meinung nach geht es hier nicht um eine Wiederauflage einer bekannten Situation. Was wir im Kaukasus derzeit erleben, ist eine neue Phase der Auseinandersetzung um die Neuordnung der Welt. Nach dem Ende der bipolaren Weltordnung, der Konfrontation der beiden Supermächte, stehen sich zwei Konzeptionen gegenüber. Die USA meint, als einzig verbleibende Weltmacht eine bestimmte internationale Ordnung herstellen und aufrechterhalten zu können. Strategisch formuliert wurde das vom US-Geostrategen Zbigniew Brzezinski …
… der seit wenigen Wochen zum Beraterstab des Demokratischen Präsidentschaftskandidaten Barack Obama gehört …
… und der sich über dem Amtsinhaber George W. Bush mehrfach beschwert hat, weil dieser seine Außenpolitik schlecht umsetze. Auf der anderen Seite existiert eine Konzeption, die in China entstanden ist und sich in Russland von Michail Gorbatschow über Boris Jelzin bis hin zu Wladimir Putin und Dmitri Medwedew erhalten hat. Es ist die Konzeption einer multipolar organisierten und kooperativen Weltordnung unter Führung der Vereinten Nationen oder einer vergleichbaren internationalen Organisation.
Was sich der Zeit im Kaukasus abspielt, ist also mehr als ein Konflikt zwischen der Hegemonialmacht Russland und dem kleinen Georgien?
Eine solche Interpretation ist schlichtweg Unsinn. Im Gegenteil: Wir wurden im Kaukasus nach dem 8. August Zeugen eines Stellvertreterkrieges. Dieser unmittelbare Krieg ist nun zwar zu Ende, der dahinter stehende Konflikt ist aber nach wie vor ungelöst. Es ist ein Stellvertreterkrieg, der für die beiden Großmächte USA und Russland geführt wird, aber auch für die Europäische Union und andere Mächte, die auf diese Region schielen, aber an dem Geschehen nur mittelbar beteiligt sind: China, die Türkei, Iran.
Welche Rollen spielen – gerade vor dem Hintergrund der Balkankriege in den 1990er Jahren – Nationalgefühle und ethnische Komponenten?
Es ist ganz klar, dass der Kaukasus ein ethnischer Durchgangsraum ist, ein „Flickenteppich“, wie es immer so schön heißt. Brzezinski spricht vom „eurasischen Balkan“. Dabei kann man nicht von der Hand weisen, dass aus dieser ethnischen Struktur Probleme entstanden sind. Aber diese Probleme sind nicht die Ursache für die jetzigen heftigen Konflikte. Die ethnischen Unterschiede werden vielmehr als Vorwand genommen.
Georgiens Präsident Michail Saakaschwili hat wohl bewusst von einem „Völkermord“ gesprochen, nachdem die russischen Truppen in das Kriegsgebiet eingerückt sind. Offenbar hat er auf den Beistand des Westens, vor allem der USA, gehofft. Hat er sich verschätzt?
Nein, das war im Grunde keine Fehleinschätzung von Saakaschwili, denn er hat ja die notwenige Rückendeckung der USA gehabt. Und ich kann mir kaum vorstellen, dass er bis zuletzt ohne das Wissen der im Land befindlichen US-amerikanischen Militärberater gehandelt hat. Ganz abgesehen davon, dass der Einmarsch der Russen nicht Ursache des Krieges war, sondern Folge des Überfalls georgischer Truppen auf die Enklave Ossetien.
Wie viele sind das denn?
Es gibt verschiedene Schätzungen, die von bis zu 1000 Mann ausgehen. Genau kann man das nicht sagen, weil es in Tiflis und Washington bestritten wird. Nach einer der offiziellen Angaben sind es lediglich 24 solcher Berater – aber das ist lächerlich. Die USA finanzieren seit langen den Aufbau des georgischen Militärapparates.
Saakaschwili hat sich also nicht verschätzt, sondern – und das ist ein wichtiger Unterschied – er ist aus dem Ruder gelaufen. Mit ihm ist im Endeffekt das gleiche passiert wie zuvor mit Osama Bin Laden oder Saddam Hussein. Diese beiden sind Washington auch aus dem Ruder gelaufen. Das ist ein Ausdruck der US-amerikanischen Interventionspolitik: Es wird jemand aufgebaut und als Oppositionsfigur international hoffähig gemacht. In diesem Fall war das Ziel, ein Instrument zu schaffen, um Russlands Einfluss einzugrenzen. Saakaschwili hat sich verselbstständigt, weil er glaubte, unabdingbar geworden zu sein.
Auf der diplomatischen Ebene verfolgen die USA aber weiterhin eine weitaus aggressivere Linie gegen Russland als die EU. Haben Washington und Brüssel unterschiedliche Interessen?
Die USA und die EU haben teilweise gleiche Interessen, vor allem in Bezug auf den Transitkorridor in Georgien. Es geht dabei um den Versuch, Russland von seinen Ressourcen und seinem südlichen Einzugsraum zu trennen. Von Europa aus wird dafür südlich von Russland ein Transportkorridor aufgebaut, und in dieses Projekt werden Milliardenmittel gesteckt. Dabei ist vor allem die Pipeline hervorzuheben, die von der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku über Georgien bis in die türkische Hafenstadt Ceyhan verläuft – die so genante BTC-Pipeline.
In der Sache stimmen Europa und die USA also überein. Differenzen gibt es in der Frage des Vorgehens. Die US-Amerikaner bevorzugen die militärische, die Europäer die ökonomische Variante, um ihren Einfluss geltend zu machen. Abgesehen davon stehen Washington und Brüssel auch in direkter Konkurrenz, was man sehr deutlich in der Trennung zwischen einen „alten“ und einem „neuen“ Europa beobachten kann. Gerade im Hinblick auf den NATO-Beitritt Georgiens wird hier von den USA aus ein Spaltkeil in die EU getrieben.
Aber hat die Einbindung der osteuropäischen Staaten in EU-Strukturen im Rahmen der Europäischen Nachbarschaftspolitik nicht auch dazu beigetragen, dass Russland sich in zunehmender Isolation fühlt?
Sicher, denn hier stehen sich zwei Integrationsräume gegenüber. Das ist auf der einen Seite der russische und auf der anderen Seite der europäische Integrationsraum. Dazwischen gibt es einen Grenzbereich, der vom Balkan bis zum Baltikum verläuft. Dazu gehören auch die Ukraine und der Kaukasus. Einerseits wird zwischen der EU und Russland eine so genannte strategische Partnerschaft formuliert, andererseits steht man sich in diesen Regionen in direkter, bissiger und harter Konkurrenz.
In den vergangenen Tagen war viel von der erwähnten BTC-Pipeline die Rede. Die Energiepolitik ist also auch hier eine treibende Kraft?
Sie ist ein ganz wesentlicher Punkt. Geopolitisch betrachtet würde man hier von einer strategischen Ellipse sprechen. Diese Ellipse reicht vom arabischen Raum und Iran über das kaspische Meer bis nach Norden in den russischen Raum hinein. Der südliche Raum – Arabien und Iran – ist besetzt, weil die Kontrolle über die dortigen Energieressourcen von den nationalen Regimes nicht abgegeben wird. Aber der nördliche Raum scheint zur Disposition zu stehen, deswegen sind darauf alle Augen gerichtet. Bedeutend ist das allein schon, weil im gesamten Gebiet der strategischen Ellipse etwa 80 Prozent der weltweiten Energieressourcen liegen.
Aber wer profitiert von der BTC-Pipeline? Errichtet wurde sie ja noch unter US-Präsident William Clinton, betrieben wird sie jedoch von British Petroleum …
Diese Frage lässt sich im Grunde nur auf der Basis strategischer Überlegungen beantworten. Die USA haben in der Region eine Reihe von Pipelines bauen lassen, die ökonomisch überhaupt keinen Sinn haben. Sie scheinen nur dem Zweck zu dienen, Russland zu behindern. Das ist auch der Sinn der BTC-Pipeline, die eigentlich auch nicht rentabel ist. Sinnvoller wäre es, das Erdöl aus dem kaspischen Raum über die vorhandenen russischen Leitungen gen Westen zu transportieren. Und viele machen ja genau das. Auch die Aserbaidschaner verkaufen keineswegs nur über die BTC-Pipeline ihr Erdöl. Die ökonomische Vernunft wird hier also offensichtlich durch politische Motive überlagert. Dabei ist dann offenbar der strategische „Gewinn“ – also die Behinderung der Russen – größer als der ökonomische Profit.
Nach dem kurzen und heftigen Krieg sind nach Schätzungen internationaler Organisationen bis zu 100.000 Menschen vertrieben worden, vor allem aus Südossetien. Wie kann der humanitären Lage begegnet werden?
Das ist sehr schwer. Zunächst muss man feststellen, dass 2000 Menschen durch den Überfall georgischer Truppen auf die Stadt Tschinvali ermordet wurden. Sie sind tot und das nicht mehr zu ändern. Viele andere haben ihre Häuser und ihre Habe verloren. Man kann sie nun in Zelten unterbringen und versorgen. Dabei ist jeder einzelne gefordert, die einschlägigen Hilfsorganisationen wie das Internationale Rote Kreuz zu unterstützen. Eine andere Sache ist, dass die Menschen in der Region die Leidtragen einer Machtpolitik sind, die sie nicht wollen. An diesem Punkt müssen wir uns im Westen fragen, inwieweit wir Anteil an dieser Misere haben. Wir müssen uns fragen, welchen Anteil unser westlicher Lebensstil an der Entstehung dieses Krieges gehabt hat. Es geht hier also nicht nur um
Hilfszahlungen, es geht eben auch um mittel- und langfristige Veränderungen bei uns.
Herr Ehlers, Sie kennen Russland und die kaukasischen Staaten aus vielen Reisen. Wie, denken Sie, reagieren die Menschen im Krisengebiet auf den Konflikt? Gibt es eine von Nationalismus geschürte Kriegsbegeisterung wie etwa zu Beginn der Balkankriege?
Nein, die gibt es auf keinen Fall. Ich habe vor wenigen Tagen einen Brief von einem russischen Freund bekommen, der völlig entsetzt über die Berichterstattung der westlichen Presse war. In Zukunft wird in Russland der westlichen Presse und westlichen Politikern mit großem Argwohn begegnet werden. Heute erst hatte ich russische Gäste zu Besuch, die das alles von sich gewiesen haben und nicht darüber reden wollten. Im Konfliktgebiet selber sind die Menschen einfach nur entsetzt. Es ist nicht ihre Politik, aber sie sind die Opfer dieser Politik und des Krieges.