Wird Putin jetzt Amerikaner?

Unübersehbar! Die Sympthome putinscher Westorientierung häufen sich. Es begann mit dem Beitritt Russlands zur „Allianz gegen den Terror“ nach dem 11.09.2001. Es folgte Wladimir Putins Auftritt vor dem deutschen Bundestag im September, die aktive Unterstützung des amerikanischen Feldzugs gegen Bin Ladin und die Taliban, die milde Zur-Kenntnisnahme der Stationierung US-amerikanischer Truppen in Usbekistan, die Besänftigung russischer Militärs, die das US-Engagement in Georgien als Beeinträchtigung russischer Interessensphären kritisierten, die Gründung des reformierten NATO-Russland-Rates und schließlich die Verbrüderung mit dem US-Präsidenten bei dessen Europa-Tour vor wenigen Tagen, in deren Zug George und Wladimir nicht nur schnell zum DU fanden, sondern der US-Präsident Russland rundweg zum Bestandteil Groß-Europas, ja, einer gemeinsamen Zivilisation erklärte.
Wladimir Putin erwartet zukünftige Amerikanische Investitionen zur Unterstützung des von ihm betriebenen Modernisierungskurses. Optimisten in den amerikanischen Think-Tanks haben bereits das Stichwort der DUOpolarität ausgegeben, das eine russisch-amerikanische Welt vorsieht, in der eine führende Industriemacht USA und der führende Rohstofflieferant Russland sich die Weltherrschaft teilen und so gemeinsam für globale Stabilität sorgen.
Wladimir Putin wird nicht müde zu betonen, dass der von ihm verfolgte Westkurs voll und ganz im Interesse Russlands liege und von der russischen Bevölkerung auch so geteilt werde. Ganz so scheint das mit der Realität allerdings nicht überein zu stimmen: Umfragen, die in der Moskauer Bevölkerung zum Bush-Besuch durchgeführt wurden, ergaben, dass nur 29% der Befragten positive Erwartungen damit verbanden. Das Gleiche zur NATO: Die große Mehrheit der russischen Bevölkerung versteht die NATO-Erweiterung immer noch als feindliche Einkreisung Russlands. Innenpolitisch wächst das Unbehagen an Putins Modernisierungskurs, in dessen Zug von einer ihm hörigen Duma im Schnellverfahren zwar eine Reform nach der anderen verabschiedet wird. Sie sollen einen stabileren Rahmen für Investitionen schaffen. Da vielen dieser Gesetze aber, wie schon unter Putins Vorgängern, in der Eile die Ausführungsbestimmungen fehlen, bleiben sie im Gewirr der regionalen Kompetenzen stecken. Andere Reformen – wie das neue Arbeitsgesetz und die Landreform – rufen den Unwillen der davon existenziell betroffenen Bevölkerung hervor. Das schafft Zulauf für die Kommunisten als einziger effektiver Opposition. Jüngsten Umfragen zufolge könnte die KPRF mit 35 – 39% der Stimmen rechnen, wenn jetzt gewählt würde. In der letzten Wahl waren es 29%.
Vor diesem Hintergrund ist der jüngste Coup der auf Wladimir Putin orientierten Kräfte der DUMA zu sehen, die – unter Beteiligung des Vizechefs der Administration des Präsidenten Surkow – in einer staatsstreichartigen Manier der KPRF den Vorsitz über sieben der von ihnen bisher geführten Ausschüsse der Duma aufkündigten. Die KPRF, unterstützt von den Agrariern. gab daraufhin aus Protest auch die Vorsitze für die restlichen zwei Vorsitze auf und kündigte der Regierung für die Zukunft eine harte Opposition an. Der Beschluss
der Partei, das ein „Verbleiben von Mitgliedern der KPRF in Ämtern des Vorsitzenden der Staatsduma und Ausschussvorsitzenden unzweckmäßig sei“, führte allerdings zum Bruch mit dem Parteimitglied und Vorsitzenden der Duma, Gennadij Selesnjow sowie anderen, die es ablehnten, ihre Ämter niederzulegen. Sie wurden deswegen aus der Partei ausgeschlossen. Aber nicht Spaltung, sondern eher Profilierung wird das Ergebnis sein, welche die KPRF für den Widerstand gegen Wladimir Putins gegenwärtigen West-Kurs munitioniert. Im Strom dieses Widerstandes stehen auch die Kräfte, die mit Wladimir Putins Westkurs nicht einverstanden sind, allen voran – so paradox es manchem scheinen mag, Wladimir Putin selbst.
Man täusche sich nicht: Seit seinem Amtsantritt hat Russlands neuer Präsident immer wieder betont, dass Russland ein euro-asiatisches Land sei, ein, so Wladimir Putin wörtlich, „besonderer Knoten der Integration, der Asien, Europa und Amerika miteinander verbindet“. Auf dieser Linie entwickelt er seit seinem Amtsantritt seine nach Westen, aber zugleich auch nach Osten orientierte Politik. Daran hat auch der 11.09.2001 nichts geändert: Er selbst lehnte es beim Bush-Besuch trotz allem ab, sich in einen Boykott gegenüber dem Iran und in Kriegsvorbereitungen gegenüber dem Irak ziehen zu lassen. Des weiteren stehen den neuesten Freundschaftsbekundungen für den Westen klare Signale für die Ost-Orientierung Russlands gegenüber: Während in Reikjawik der neue NATO-Rat beschlossen wurde, wurde in Moskau ein neues Militärbündnis Weißrussland, Kasachstan, Kirgisien, Tadschikistan und Armeinen aus der Taufe gehoben, das den verschlissenen „Vertrag zur kollektiven Sicherheit“ von 1992 erneuerte. Im Juni soll ein Manöver des Bündnisses in Kirgisien und Kasachstan stattfinden.
Auch wirtschaftlich rückt die GUS wieder enger zusammen. Russland investiert unter Präsident Putin die lange vernachlässigten Beziehungen innerhalb der GUS. Fünf dieser Länder gründeten jetzt eine Wirtschaftsunion, die letztendlich in eine Freihandelszone nach Vorbild des europäischen Binnenmarktes münden soll.
Einen Tag nach dem Bush-Besuch hat zwar selbst China den neuen NATO-Rat als Beitrag zum Frieden begrüßt. Gleichzeitig kündigte der chinesische Sprecher aber an, dass der russische Außenminister Iwanow zu einem Besuch in China erwartet werde. Dabei soll es vor allem um Waffenlieferungen Russlands an China gehen. Außerdem steht die gemeinsame Haltung zur NATO auf der Tagesordnung. Die strategische Freundschaft mit dem Westen ist, wie man sieht – hier unmissverständlich demonstriert – in eine ebensolche Beziehung mit dem Osten, speziell China nach wie vor fest eingebunden.
Einen weiteren klaren Kontrapunkt setzte Wladimir Putin selber in den Verhandlungen um die Enklave Kaliningrad, in der er zukünftiges russisches Wohlverhalten gegenüber der EU-Erweiterung – und im Hintergrund auch NATO-Erweiterung – von Zugeständnissen der EU gegenüber Russland abhängig machte.
Das letzte Signal ist die Gründung einer „Euroasiatischen Partei“ des Selesjnow-Schützlings Alexander Dugin. Schon letztes Jahr hatte Dugin mit Hilfe des Präsidialamtes die „eurasiatische Bewegung“ gründen können, ein russisches Gegenstück zum amerikanischen Think-Tank der Huntingtons, Kissingers und Brzezinkis. Jetzt stand Wladimir Putins Präsidialamt Pate an der Wiege einer politischen Kraft, die für sich in Anspruch nimmt, der Kurs Russlands zwischen Europa und Asien, zwischen Sowjetismus und Markt und vor allem die Unzufriedenheit mit dem Identitätsverlust der russischen Gesellschaft zu repräsentieren. Diese Position schließt die KPRF ein, geht aber programmatisch und auch, was ihren potentiellen sozialen Einzugsbereich betrifft, weit über deren alt-sowjetische Kreise hinaus. Daran kann Wladimir Putin nicht vorbei – selbst wenn er es wollte.

 

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