Öl-NATO contra Gas-Russland Im Kampf um die Neuaufteilung der Welt

Kooperation oder Konfrontation mit Russland? Um diese Fragen kreisen die aktuellen politischen Debatten in der Europäischen Union und in der NATO. Zwei Strategien stehen sich gegenüber:
Auf der einen Seite forcieren die USA die Entwicklung der NATO zur Energie-NATO. Angestoßen vom EU-Neumitglied Polen wurde diese Forderung von US-Senator Luger erstmalig auf dem NATO-Gipfel in Riga 2007 öffentlich vorgetragen. Seitdem läuft innerhalb der NATO eine intensive Debatte um diese Frage. Die Entwicklung einer Energie-NATO wäre gleichbedeutend damit, Russland auf einen Rohstoff-Lieferanten zu reduzieren und seinen politischen Einfluss zu isolieren. Die Strategie fügt sich in das unipolare Konzept der US-amerikanischen Hegemonialordnung ein, wie es von Sbigniew Brzezinski in seinem Buch „Die einzige Weltmacht“ entwickelt wird. [2]
Dem steht Russlands Vorschlag gegenüber, über Gasprom eine weltweite kooperative Vernetzung von Energie-Lieferanten und Energieverbrauchen zu schaffen. Der deutsche Außenminister Steinmeier griff diesen Impuls auf der Münchner NATO-Tagung 2007 unter dem Stichwort einer Energie-KSZE auf. Es gehe darum die Kooperation von Rohstofflieferanten und Rohstoffverbrauchern, konkret Russland und EU so weit zu steigern, dass eine untrennbare gegenseitige Abhängigkeit entstehe. Dieses Konzept zielt auf aktive Einbeziehung Russlands. Es fügt sich im Übrigen in die seit Gorbatschow in der russischen Außenpolitik entwickelten Vorstellungen einer multipolaren Weltordnung ein.
Seit der NATO-Sicherheitstagung 2007 in München stehen sich die Forderungen nach einer „Energie-NATO“ und einer „Energie-KSZE“ gegenüber. Die EU ist in der Frage gespalten.

Die Geschichte der genannten Konzepte ist die Geschichte einer Eskalation.

Seit 1991 bemüht sich das „atlantische Bündnis“ unter Führung der USA aggressiv um die Neuaufteilung des zentralasiatisch-kaukasischen Raumes. Dabei ging es vorrangig um Erdöl und Erdgas, die in diesem Raum konzentriert sind. Der führende US-amerikanische Stratege Brzezinski spricht vom „Filetstück“ des „eurasischen Balkans“, auf das die USA sich den Zugriff sichern müssten. Kernstück der daraus entwickelten Strategie wurde der Ausbau eines Transportkorridors, auf dem Öl und Gas südlich des Bauches von Russland von Ost nach West befördert werden könnten, ohne durch russische, aus der Sowjetzeit noch vorhandene Röhren gehen zu müssen. Das bedeutete, Russland von Zentralasien, vom Süd-Kaukasus und vom Iran zu trennen, den russischen Schwarzmeerhafen Novorossisk, sowie die Pipelines durch Tschetschenien zu umgehen.
Die EU beteiligte sich an dieser Strategie mit den Programmen TACIS, INOGATE und TRACECA, über welche Milliarden Euro in den Ausbau der Ost-West-Transport-Infrastruktur von Usbekistan bis Europa flossen. TACIS, das ist die Abkürzung für “Technical assistance to the commonwealth on independent states”, INOGATE für “Interstate Oil and Gas Transport to Europe”, TRACECA für “Transport Corridor Europe-Caucasus-Central Asia”. Die drei Programme sind ausgelegt als Aktionsbündnisse mit den aus der Sowjetunion hervorgegangenen Staaten Zentralasiens, des Kaukasus und des Balkan (selbst Griechenland partizipierte) – nur Russland wurde expressis verbis ausgegrenzt.
Wichtigstes Ergebnis dieser Programme waren drei neue Pipelines, die unter Umgehung der bis dahin genutzten sowjetischen Transportwege gebaut wurden:
– Öl von Baku in Aserbeidschan zum Schwarzmeerhafen Supsa – seit 96 in Betrieb,
– Öl von Baku über Tiblissi nach zum Mittelmehrhafen Ceyhan in der Türkei –
„BTC“ genannt nach den drei Städtenamen, seit 2005 in Betrieb;
– Gas von Baku über Süd-Europa in die EU –“Nabucco“– geplant ab 2012.
Nicht erfolgreich war der US-Plan, eine Pipeline durch Afghanistan in den Persischen Golf zu führen. Der in den 90er Jahren gemachte Ansatz blieb in den Kämpfen mit den Mujaheddin stecken. Auch die neueren Pläne, die von Sbigniew Brzezinski kürzlich wieder ins Gespräch gebracht wurden, werden nur erfolgreich umgesetzt werden können, wenn Afghanistan schnell „befriedet“ wird.
Zeitgleich mit der Entwicklung des Ost-West-Transportkorridors unternahmen westliche Öl-Konzerne den Versuch, den innerrussischen Öl- und Gas-Markt zu „liberalisieren“, „für den Weltmarkt zu öffnen“, kurz, unter Kontrolle westlicher Konzerne zu bringen. Das geschah zum einen über Einflussnahme auf den seit 1991 privatisierten russischen Öl-Markt. Der nach-sowjetische private Öl-Konzern YUKOS wurde in de4 Jahren 2003/2004 bereits von New York aus geleitet. Yukos-Chef Chodorkowski stand vor seiner Verhaftung und vor der gerichtlichen Auflösung des Konzerns kurz vor dem Verkauf von Mehrheitsanteilen an US-Texaco.
Es geschah zum Zweiten über Versuche der EU über Verhandlungen mit Russland für eine Europäische Energiecharta, über ein gesondertes Kooperations- und Partnerschaftsabkommen und über die Entwicklung einer „strategischen Partnerschaft“ zu einer „Liberalisierung“ des Öl- und Gasmarktes zu kommen.
NATO-Erweiterung und EU-Erweiterungen flankierten diese Strategie der Einkreisung Russlands, gepuscht von den USA; die EU konnte, sehr zum Ärger der USA keine klare einheitliche Linie zur Energiepolitik gegenüber Russland finden, sondern schwankte immer wieder zwischen aktiver Beteiligung an der US-Einkreisungspolitik und langfristiger Kooperation im Rahmen einer strategischen Partnerschaft. – was u.a. dazu führte, dass die Nabucco-Pläne nur zögernd voran kamen und kommen.

Russlands Antwort

Nach Auflösung der Sowjetunion und Einleitung der Schock-Therapie der Totalprivatisierung war Russland dieser Strategie zunächst weitgehend ausgeliefert. Aus dem Gas-Ministerium der Sowjetzeit entstand Gasprom als eine undefinierbare Mischung aus alten sowjetischen und neuen privatwirtschaftlich genutzten Strukturen. In der Bevölkerung galt diese Organisation als Selbstbedienungsladen ihrer Funktionäre. Die Ölindustrie wurde zum Privateigentum weniger Oligarchien, verquickt mit ausländischem Kapital. Erst mit der Krise 98, als der IWF sich weigerte Russland mit Krediten aus der Patsche zu helfen, bzw. für Russland unannehmbare Bedingungen stellte, begann Russland sich wieder auf die eigenen Kräfte zu besinnen. Die wesentlichen Schritte sind schnell aufgezählt:
– 2002 Reform Gasproms zum internationalen Multi. Die korrupten Funktionäre der 90 Jahre werden durch Vertraute Putins ersetzt, Gasprom zu einem politischen Instrument des Staates und einer Stütze des russischen Budgets entwickelt.
– 2003/4 mit der Verhaftung Michail Chodorkowskis und der Auflösung des YUKOS-Konzerns nimmt der russische Staat auch die größten Teile der Öl-Wirtschaft wieder unter Kontrolle.
– 2005/6 wird am Plan der Ostseepipeline erkennbar, dass Gasprom die Strategie einer aktiven Vernetzung des russischen Energiemarktes mit der EU verfolgt; mit Kasachstan und Turkmenistan werden alte Verbindungen aktiviert.
– am 23. Juni 2007 schließt sich Gazprom mit dem italienischen Konzern ENI für ein Projekt einer südlichen Pipeline („South-Stream“) zusammen[4]: Sie soll vom russischen Schwarzmeerhafen Dschubga (bei Noworossisk) auf dem Grund des Meeres nach Varna an der Bulgarischen Küste führen. Der Betrieb soll ebenfalls 2013 beginnen[5].
– 2008 geht es Schlag auf Schlag: Vertrag zum Bau der „South-Pipeline“ mit Serbien im Januar 2008[6], mit Ungarn im Februar[7], mit Griechenland im April. Die Ungarn erklären, sie wollten sich sowohl an der “Nabucco“Pipeline als auch an „North-Stream“ beteiligen. Ein Joint Venture von “Nabucco“ und Gasprom unter der Bezeichnung „New Europa Transmission System“ (NETS) könne auch mit zentralasiatischen Staaten und mit Iran Verhandlungen aufnehmen. [8] Im Juli 2008 offeriert Gasprom Gaddafi den Aufkauf von Libyens Gas- und Öl-Industrie zu aktuellen Marktpreisen. [10] Mit Nigeria steht Gazprom in Verhandlungen über eine Gasleitung Richtung Europa. [11] Gasproms Partner Wintershall gewinnt Exportlizenzen in Chile und Argentinien. Zugleich wendet Gazprom sich auch nach Osten[12]: Der Konzern und Südkorea verabschieden eine Absichtserklärung auf Abschluss eines Liefervertrages von Gas mit einer Laufzeit von dreißig Jahren. Die dazu nötige Pipeline soll durch Nordkorea geführt werden. Ebenfalls im Juli 2008 verabreden Alexei Miller und Irans Präsident Ahmadinedschad zukünftige Kooperation. [13] Im Oktober erklärt Gazprom seine Absicht, ein schwimmendes AKW für die Gas-Verflüssigung werde 2011 betriebsbereit sein. [14] Zudem rechne Gasprom damit, so Miller, „unsere Positionen auf den Märkten für Gas-, Strom-, und Kohlenhandel zu festigen“ [15], d.h. ein umfassendes Netz von der Förderung bis zum Endkunden aufzubauen.

Kooperation contra Konfrontation

Zum Gipfel der G8 in St. Petersburg im Mai 2006 legte Russland den Vorschlag vor, eine globale Energiepolitik zu entwickeln. Die teilnehmenden westlichen Staaten, allen voran die USA, aber auch Deutschland brachten schwere Bedenken gegen Russlands „Anmaßung“ vor und kündigten an, ihrerseits Beschlüsse zur Liberalisierung des Energie-Weltmarktes durchsetzen zu wollen. So wurden von dem „Energie-Summit“ harte Konfrontationen erwartet. Im Ergebnis verabschiedete der Gipfel überraschend einen „Aktionsplan“ zur „globalen Energiesicherheit“, in dem alle Widersprüche in einem einstimmigen Programm aufgehoben schienen. Nur ein halbes Jahr später, 26.11.2006 forderte US-Senator Luger beim NATO-Gipfel in Riga die Entwicklung einer Energie-NATO, die nach § 5 des NATO-Bündnisvertrages eingreifen müsse, wenn Gas- oder Öllieferungen mit erpresserischer Absicht unterbrochen würden. Auch eine befürchtete „Gas-OPEC“ geriet ins Schussfeld: „Am 22. Mai 2007 verabschiedete das US-Repräsentantenhaus ein Gesetz (H.R. 2264), mit dem Ländern, die per Kartell die Ölpreisbildung beeinflussen, mit Sanktionen und Klagen in den USA gedroht wird“ – das sog. „NOPEC“-Gesetz.
Die Erfolge Gasproms bei der Aufweichung des „atlantischen“ Transportkorridors dürften auch als Hintergrund für die Eskalationen im Kaukasus im August 2008 zu sehen sein. 17] „Die wachsende Abhängigkeit Europas von Energie und Infrastruktur Russlands“ sei „ein negativer geopolitischer Trend“ war im November 2007 aus der Neo-konservativen Heritage-Foundation zu hören. Er berühre die Interessen der USA in wichtigen geopolitischen Punkten „wie die NATO Ausweitung in die Ukraine und Georgien, die Raketenabwehr, den Kosovo, und den US sowie europäischen Einfluss im nachsowjetischen Raum.“ [18]
Im Juli 2008 erneuerte Richard G. Lugar seine Offensive[20]. Bei einer Anhörung im „Komitee für Auslandsbeziehungen der USA“ beschwor er aufs Neue die europäische Abhängigkeit von Russlands Energieliefungen: Die „atlantische Gemeinschaft“ müsse sich deswegen auf die Fertigstellung des Ost-West-Korridores konzentrieren. Das atlantische Bündnis dürfe „die Fortschritte, die in Aserbeidschan und in Georgien gemacht wurden, nicht für garantiert halten. Um ein Maximum an Nutzen aus der Baku-Tiblissi-Ceyhan und der Süd Kaukasus Pipeline zu holen“ müsse „die transatlantische Gemeinschaft fortfahren die demokratische Transformation im Kaukasus zu unterstützen.“ Und drittens müssten „widerspenstige europäische Regierungen (…) davon überzeugt werden, dass ihrer langfristigen Sicherheit mit der “Nabucco“Pipeline gedient“ werde.
Brzezinski, gleichfalls Teilnehmer des Hearings, assistierte mit der Behauptung, den Behörden der USA lägen Beweise über „Drohungen Russlands gegen Georgien“ (vor), „die nicht durch territoriale Dispute motiviert seien, obwohl es die durchaus gebe, sondern ihre Ursache liege darin, die Kontrolle über die Baku-Ceyhan-Pipeline zu übernehmen.“ [21]
Nur ein paar Wochen später hatte Saakaschwili den georgischen Krieg ausgelöst, den er u.a. damit rechtfertigte, Russland habe die BTC-Pipeline bombardieren wollen.
Nach dem Krieg wurde Brzezinski noch deutlicher: „Unglücklicherweise“, erklärte er in der „Welt“ [22], habe Putin „Russland einen Kurs einschlagen lassen, der in erschreckender Weise dem von Stalin und Hitler in den 1930er Jahren sehr ähnlich“ sei. Wenn Russland diesen Kurs fahre, müsse es isoliert und aufgehalten werden, „indem man eine kollektive, globale Reaktion initialisiert.“ Sanktionen seien nötig. Rücksicht auf Putin sei „kontraproduktiv“.
Unter den Bedingungen der globalen Systemkrise entspannte sich die Konfrontation vorübergehend. Auf der Müncher „Sicherheits“-Tagung 2009 standen andere Themen im Vordergrund, insbesondere der Wiedereintritt der USA ins internationale Bündnissystem. Zudem ist Gasprom durch den Preisverfall bei Öl- und Gas vorübergehend geschwächt. Ein neues Anziehen der Öl- und Gaspreise und damit die Aktualisierung des Wettlaufes um die kaukasischen und zentralasiatischen Ressourcen ist jedoch unausweichlich.

veröffentlicht in:  „Neues Deutschland“

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