Besetzung:
Sprecher, Übersetzer, Übersetzerin
Aussprache: Alle russischen Namen und Begriffe sind in phonetischer Umschreibung wiedergeben.
Anmerkung zu den O-Tönen:
Die Länge der O-Töne ist exakt angegeben. Zähleinheit ist 4,5 sec. pro Zeile plus 4,5 Sec. für die Auf- und 4,5 Sec. für die Ausblendung. Die Töne sind so geschnitten, dass Anfang und – wenn am Schluss aufgeblendet werden soll, dann auch – das Ende in der Regel für jeweils mindestens 4,5 Sec. den (fett) angegebenen Textanfängen oder Textenden entsprechen. Evtl. Schnittstellen ( in denen Übersetzung und Ton nicht mehr wortidentisch sind) liegen in der Mitte der Töne. Abweichungen von diesem Schema sind besonders angegeben.
Gesamtzeichen:
Gesamtlänge der O-Töne: 28 Min.
Kürzungsmöglichkeiten (der Priorität nach)
Achtung: zwei Bänder!
– Atmos 1 – 4 (Athmo 4 entfällt)
– O-Töne 1 – 18
Bitte die O-Ton Schlüsse weich abblenden
Freundliche Grüße
Kai Ehlers
www.kai-ehlers.de
Euroasiatische Visionen
russischer Nationalisten
Athmo 1: Gesang 1.03
Regie: Ton allmählich kommen lassen, ausreichend stehen lassen, abblenden, unterlegen, nach Erzähler verblenden
Erzähler:
Beim sortieren der Beeren, die er selbst in der Taiga, dem sibirischen Urwald gesammelt hat, singt Gennadij Schadrin russische Volkslieder. Djeenja, so nennen ihn seine Begleiter, ist ein sibirischer Jäger, Ökologe und Patriot. Er arbeitet als Agrarreporter beim Nowosibirsker städtischen Radio, wo er regelmäßige Sendungen über die Entwicklung der Dörfer und ihrer Menschen macht. Sein Hauptinteresse gilt der Bedrohungen, der die Dörfer seit der großen Wende durch die „westliche Überfremdung“, wie er es nennt, ausgesetzt sind. Djeenja ist ein friedlicher Mensch. Die Lieder seiner Heimat, die Beeren der Taiga, die Pflege der russischen Sprache und Kultur sind ihm wichtiger als die großen politischen Fragen. In den Dörfern müsse man sich umschauen, meint er. Dort werde das Russische am ehesten bewahrt:
O-Ton 1: Wasser am Brunnen 1,06
Regie: O-Ton kurz frei stehen lassen, abblenden, unterlegen, hochziehen
Erzähler:
Geräusche von Wassereimern…
Am Brunnen eines Dorfes kommt Djeenja am nächsten Tag ins Plaudern. Die neue Zeit verwirre die Menschen, meint er. Man wisse nicht mehr, was man denken solle, noch weniger, wie man sich in dieser Krise gesund erhalten könne. Zurück zur Sowjetzeit wolle natürlich niemand, der westliche Weg bleibe den russischen Menschen fremd. Doch gebe es einen russischen Weg, das Leben zu meistern, das „System Iwanow“, dem viele Sibiriaken und auch Menschen im Westen Russlands heute folgten.
Wasser, Waschgeräusche
Erzähler:
Das System Porfirjew Iwanows, Energie aus der Abhärtung gegen die Kälte zu gewinnen, wird heute von vielen Menschen in Sibirien angewandt: Morgens, gleich nach dem Aufstehen kann man aus den Haustüren sibirischer Wohnhäuser Menschen kommen sehen, die sich kurzentschlossen kaltes Wasser über den Kopf gießen – sommers wie winters, auch in den Städten. Nicht alle jedoch, die in der Verwirrung der neuen Zeit nach neuen Wegen suchen, bescheiden sich mit einem solchen selbstgenügsamen Weg. In Moskau klingen selbst die gemäßigten Töne schon anders. Hören wir Jefim Berschin, Redakteur und Poet. Er hat den Zusammenbruch des sowjetischen Weltbildes begrüßt; nun aber das amerikanische an dessen Stelle zu setzen, weigert er sich. Amerikanischer Geschäftssinn könne niemals die russische Kultur ersetzen, so Jefiim Berschins Überzeugung, das amerikanische Bewusstsein sei einfach erschreckend. Aufgeschreckt durch das Eingreifen der NATO im Kosovo erklärt er:
O-Ton 2:Jefim Berschin 1,11
Regie: Ton kurz stehen lassen, abblenden, unterlegen, hochziehen
Übersetzer overvoice:
„W` Amerikje ssewodnja..
„In Amerika wird heute eine Ideologie des Anti-Intellektualismus propagiert: Der Mensch soll tätig sein, er soll nicht denken, er braucht keine Bildung. Das ist ROM am Beginn des 21.Jahrhunderts. Amerika versteht nicht, was es da anrührt. Amerika glaubt, dass man seine eigenen Ziele künstlich in jedes beliebige Land importieren und sie dann dort wirken lassen kann. Das ist nicht möglich. – Warum versteht Amerika das nicht? Weil Amerika die Wichtigkeit des kulturellen Ursprungs des Staates nicht begreift. Insofern Amerika selbst keine kulturellen Ursprünge hat, sondern alles aus verschiedenen Ländern zusammengerührt ist und eine eigene Kultur noch nicht entstanden ist, ist Amerika ein Land ohne kulturelle Wurzeln. Es versteht die Wichtigkeit von Kultur und Tradition nicht, nur Alltagskultur. Europa dagegen muss das begreifen! Die europäischen Staaten sind doch Staaten mit ältesten Kulturen!“
… kulturami:“
Erzähler:
Russische Eigenständigkeit in Abgrenzung nach Westen, vor allem gegenüber den USA ist heute der Grundkonsens russischer Patrioten, gleich ob in der Metropole oder auf dem Lande. Europa, insbesondere Deutschland dagegen anvanciert zum Wunschpartner, mit dem man sich kulturell verbunden fühlt und mit dem man die USA in die Schranken weisen möchte. In den letzten Jahren der Jelzinschen Präsidentschaft entwickelte sich diese Linie zu einer mächtigen Gegenkraft zu dem nach Westen orientierten Kreml. Gallionsfigur dieser Bewegung wurde vorübergehend der General Alexander Lebed. Nach dem von ihm für den ersten tschetschenischen Krieg 1996 bewirkten Waffenstillstandsvertrag gewann er vorübergehend soviel Popularität, dass er 1996 im Wahlgang um die Präsidentschaft als dritter nach Boris Jelzin und dessen Systemsgegner Gennadij Szuganow, dem Chef der KP, durchs Ziel ging. Im zweiten Wahlgang abgeschmettert verlegte Alexander Lebed sich dann allerdings darauf, im fernen Krasnojarsk das Modell einer euroasiatisch orientierten Herrschaft aufzubauen, um es von dort aus nach Moskau zu tragen. Zur Aktualität der euroasiatischen Orientierung waren aus dem Kreis seines Kranojarsker Kommandos seinerzeit Einschätzungen wie diese zu hören:
O-Ton 3: Wladimir Polutschin, Kultusminister 0,51
in Krasnojarsk
Regie: Kurz stehen lassen, abblenden, unterlegen, hochziehen
Übersetzer overvoice:
„No takawa Situatia…
„Nun, das ist die Situation, denn das Territorium ist riesig. Da ist das asiatische Territorium und ein Teil liegt in Europa. Das ist natürlich ein Problem. Es ist aber auch die einzigartige Chance, zur Brücke zwischen Osten und Westen zu werden. Das ist meine Meinung. Das ist aber auch die Meinung von Alexander Iwanowitsch, dass Russland im 21. Jahrhundert nur dann wirklich ein mächtiger und wirtschaftlich präsenter Staat werden kann, wenn wir zur Brücke zwischen Osten und Westen werden können. Das ist für Russland die Chance, wenn ein guter Führer kommt.“
…nastajeschi lider.“
Erzähler:
Der so spricht, ist Wladimir Polutschin, Minister für Kultur in dem von Alexander Lebed nach seiner Wahl zum Gouverneur von Krasnojarsk zusammengestellten Kabinett. Mit dem kommenden Führer war selbstverständlich Alexander Lebed gemeint, der mit der von ihm geschaffenen Bewegung „Ehre und Heimat“ und seinem Versprechen auf eine „Diktatur des Gesetzes“ bei der Wahl im Jahr 2000 Präsident zu werden hoffte. Tatsächlich ging ein anderer mit der selben Losung durchs Ziel, Wladimir Putin. Gegen Alexander Lebed, der mit dem Image eines „Generals für den Frieden“ warb, siegte Wladimir Putin als Zivilist, der den zweiten tschetschenischen Krieg für die Wiederherstellung der imperialen Größe Russlands begann und ihn bis heute noch führt. Jetzt fühlen sich all diejenigen ermutigt, für die Russlands Lage zwischen Asien und Europa schon immer mit aggressiveren Vorstellungen verbunden war. Wichtigster Vertreter dieser Linie ist Alexander Dugin, seit der Wende unter Michail Gorbatschow Autor zahlloser Artikel zu Fragen der euroasiatischen Geopolitik Russlands, Herausgeber einer nationalistischen Theoriezeitung „Elemente“ und seit den Wahlen zur Duma im Oktober 1999 auch politischer Berater des Dumapräsidenten Selesnjow.
Alexander Dugin begrüßte die Wahl Wladimir Putins mit den Worten:
O-Ton 4: Alexander Dugin 0,55
Regie: Kurz stehen lassen, abblenden, unterlegen, hochziehen
Übersetzer overvoice
„Putin ja magu skasatj..
„Was Putin sagt ist das, was ich seit Jahren sage. Faktisch wiederholt er Wort für Wort das, was ich seit vielen Jahren vorbringe. Ich bin nicht einfach nur Nationalist, ich bin Euroasiatiker. Das ist ein umfassendes Konzept, das ich entwickelt habe. Es betrifft drei Elemente: Die geopolitische Denkweise, das euroasiatische Projekt, die Selbstständigkeit der russischen Zivilisation. Ich wirke seit Jahren durch die zentristischen Strukturen, Minister, Innenministerium, Armee. Ich habe immer wieder gesagt: es kommt der Moment, das die euroasiatische Sicht zum offiziellen strategischen Programm Russlands wird. Mit Putin ist es soweit.“
…c Putinnom eta biwaetsja.“
Erzähler:
Ohne eine Frage abzuwarten, erläutert er, was er unter einer geopolitischen Denkweise versteht:
O-Ton 5: Dugin, Forts. 1.05
Regie: O-Ton kurz stehen lassen, abblenden, unterlegen, hochziehen
Übersetzer overvoice:
“Geopolititschiskaja termina…
„Grundgedanke der Geopolitik liegt im Gegensatz zwischen territorialen und maritimen Imperien. Dieser Gegensatz hängt nicht von Ideologien, nicht von konkreten religiösen, ethnischen oder rassischen Faktoren ab. Der eine Pol, der atlantische, also der westliche, maritime folgt der einen Logik der Geschichte, der andere Pol, der territoriale, der Kontinentalismus, folgt den Gesichtspunkten des Euroasiatismus. Die Identifizierung mit dieser Erscheinung auf dem Niveau der alltäglichen Politik bildet die euroasiatische Bewegung, die ich führe und vertrete. Das ist der Neo-Euroasiatismus, wenn man so will. Er nimmt Grundelemente aus historischen Quellen, aber fügt wichtige neue Elemente der Geopolitik, der Soziologie, der neueren Geschichte usw. hinzu“
… i tagdali.“
Erzähler:
Die aktuelle Sicht, mit der er den historischen Euroasiatismus ergänzt, beschreibt Alexander Dugin mit den Worten:
O-Ton 6: Dugin, Forts . 0,39
Regie: O-Ton kurz stehen lassen, abblenden, unterlegen, hochziehen
Übersetzer overvoice:
„Ssetschas w mirje…
„Zur Zeit entwickelt sich eine beängstigende geopolitische Situation: Es entsteht eine unipolare Welt unter vollkommener Herrschaft der USA. Die einzige Struktur, die dem nach geopolitischen Gesetzen widerstehen kann, ist die Erde Russlands. Wenn wir unsere russische Erde an der Peripherie verlieren, verlieren wir unsere Möglichkeit, eine planetare Alternative zu bilden. Wir verraten auf diese Weise nicht nur unsere historische Mission, sondern hindern auch noch andere Völker, Europa, Asien, eine freie Wahl zwischen dem atlantischem Modell und anderen zu treffen.“
…kakoito inoi.“
Erzähler
Die Länder des Islam, so Alexander Dugin, bilden eine Übergangszone zwischen den kontinentalen und den atlantischen Tendenzen. Beide Seiten müssten daher versuchen, Einfluss zu nehmen sei. „Das“, so Dugin, „ist objektiv unvermeidlich!“
Auf die Frage, wie er sich diese „Einflussnahme“ von Seiten Russlands vorstelle, ob durch imperiale Eroberung oder durch Verträge, antwortet Alexander Dugin kühl:
O-Ton 7: Dugin, Forts. 0,37
Regie: O-Ton kurz stehen lassen, abblenden, unterlegen, hochziehen
Übersetzer overvoice:
„Ja nje wosraschaju…
„Ich habe nichts gegen den imperialen Weg, er ist zur Zeit nur wegen unserer Schwäche nicht möglich. Nicht aus Humanismus, sondern aus Realismus glaube ich, dass der Weg der Eroberung dieser Staaten zur Zeit für uns nicht möglich ist. Dadurch erledigt sich die Frage nach dem imperialen Weg. Jeder realistische Geopolitiker – außer Dummköpfen – erkennt das und wird sich danach richten.“
… kagby saglassitsja.“
Erzähler:
Das „Euroasiatische Projekt“, fährt Alexander Dugin fort, sehe stattdessen drei Ebenen vor: Erstens – einfache Verträge zum gegenseitigen Nutzen mit Ländern euroasiatischen Nachbarn Russlands; zweitens – konföderative Verbindungen, in der Perspektive eine euroasiatische Konföderation als strategische Vereinigung; drittens – die Neutralisierung Europas und des pazifischen Raumes, genauer, deren Loskoppelung vom atlantischen Bündnis. Ziel, so Alexander Dugin, sei selbstverständlich eine multipolare Welt; die sei aber nur auf dem Umweg über die Wiederherstellung der bipolaren zu erreichen:
O-Ton 8: Dugin, Forts. 1,23
Regie: O-Ton kurz stehen lassen, abblenden, unterlegen, hochziehen
Übersetzer overvoice:
„Jesli my ssetschas…
“Wenn wir jetzt direkt auf eine multipolare Welt zusteuern würden, dann würde es eine Amerika-zentrierte Welt werden und keine echte multipolare, eine fiktive. Das verstehen die chinesischen Führer sehr gut, die indischen wie überhaupt alle normalen Menschen. Wir wollen die multipolare Welt; um dahin zu kommen, müssen wir aber zunächst die bipolare Welt wiederherstellen, denn im Konfliktfall wird die amerikanische Hegemonie, die amerikanische Expansion so funktionieren, wie die USA es gerade am Kosovo gezeigt haben und weiter zeigen werden. Deshalb brauchen wir unser atomares Drohpotential. Wenn das durch die asiatischen Potentiale multipliziert wird, können wir den Amerikanern diktieren, Europa und die pazifische Region in die Entmilitarisierung zu entlassen. Zu dem Zweck unterstützen wir auch den Euro, zu dem Zweck unterstützen wir eine eigene pazifische Währung usw., das heißt, wir helfen, die Unabhängigkeit Europas und des pazifischen Bereiches herzustellen; dafür erwarten wir, dass entspreche Hilfe zurückkommt….
…historie dolschni…“
Erzähler:
Die Befreiung Europas, die Entwicklung eines europäischen Bewusstseins, sei ebenfalls eine euro-asiatische Aufgabe, fährt Alexander Dugin fort. „Wir müssen Europa nach Europa zurückbringen!“ erklärt er und, einmal in Fahrt, macht er Deutschland eine Liebeserklärung von besonderer Qualität:
O-Ton 9: Dugin; Forts. 1,20
Regie: O-Ton kurz stehen lassen, abblenden, unterlegen, unter Erzähler allmählich ausblenden
Übersetzer overvoice:
“Kstati, sa prawal…
“Übrigens, für den Zusammenbruch der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist natürlich die deutsche Geopolitik verantwortlich, welche die Notwendigkeit der Orientierung Berlin. Moskau-Tokio nicht begriff. Das wäre der Sieg gewesen. Wenn wir gemeinsam locker London eingenommen hätten, dann würden wir Russen zusammen mit den Deutschen heute eine wunderbare, demokratische Welt regieren.“
Erzähler:
Deutschland ist aus Alexander Dugins Sicht der wichtigste Partner einer möglichen euroasiatischen Achse. Deutschland für ein Bündnis gegen die USA zu gewinnen, ist für ihn eins der wichtigsten Ziele russischer Außenpolitik. Die USA sind für ihn, ganz in der Diktion des Kalten Krieges, Weltbrandstifter Nummer eins. Auf den Krieg in Tschetschenien, auf den Einsatz russischer Truppen in GUS-Ländern angesprochen, die der Vision einer friedlichen euroasiatischen Bündnispolitik Russlands sichtlich entgegenlaufen, bricht es aus dem Geopolitiker Dugin heraus:
O-Ton 10 Dugin, Forts. 1.31
Regie: O-Ton kurz stehen lassen, abblenden, unterlegen, hochziehen
Übersetzer overvoice:
„Na samom djele…
“Nach meiner Meinung liegt die Verantwortung für mögliche gefährliche Konfrontationen ausschließlich bei den USA und beim atlantischen Modell. Warum? Amerika glaubt, dass alle sich nach ihrer Wirtschaft ausrichten müssen. Wenn Eroberungen früher militärisch stattfanden, so heute durch wirtschaftliche Modelle. Im Kern verhält sich Amerika als Hegemon, führt sich als Kolonisator und als einziger Schiedsrichter auf. Russland hat seinen guten Willen gezeigt, besonders durch Perestroika, hat ein einiges Deutschland ermöglicht, hat sich ohne Vorleistung aus dem Warschauer Vertrag zurückgezogen. Im Gegenzug aber bewegt sich die NATO nach Osten, kreist Russland ein, statt eine multipolare Welt zu ermöglichen, gehen die USA daran, eine monopolare aufzubauen, halten sich für die Weltpolizei, haben überall ihre Doktrinen verbreitet. Ich denke, der Hauptfeind und die Hauptgefahr für die Menschheit – das sind die USA und ihre wahnsinnige, fanatisch, totalitäre, neo-nazistische atlantische Position.“
…atlantiskaja positia..“
Erzähler:
Um zukünftigen Konflikten zu entgehen, schließt Dugin, müsse die Welt sich zu einer einheitlichen antiamerikanische Front zusammenschließen. Nur so werde sie in Frieden leben können.
Klaren Text spricht auch Alexander Prochanow, Herausgeber und Chefredakteur der vielgelesenen national-patriotischen Wochenzeitung „Sawtra“ (morgen), der Alexander Dugin seit Jahren ein Forum für die Verbreitung seiner Ideen liefert.
Alexander Prochanow war Sprachrohr der „Nationalen Front“, die seinerzeit militant gegen Michail Gorbatschow, 1993 offen militärisch gegen Boris Jelzin mobilisierte. Er ist zeitweiliger Bündnisgenosse der Kommunistischen Partei Russlands. Vor der Wahl Wladimir Putins zum Präsidenten polemisierte er erbittert gegen die Inkonsequenz des „Klons Putin“, von dem niemand wisse, woher er stamme. Inzwischen gehört Prochanow zu Wladimir Putins Fürsprechern. Prochanow skizzierte die Rolle, die Russland seiner Ansicht nach spielen soll, schon 1992 mit den Worten:
O-Ton 11: Alexander Prochanow 1.08
Regie: O-Ton kurz stehen lassen, abblenden, unterlegen, hochziehen
Übersetzer overvoice:
„Ideologie katorie…
„Die Ideologie, welche die auseinanderfallende russische Gesellschaft vereinen kann, enthält zwei Komponenten: Das ist die Komponente der sozialen Gerechtigkeit – die sozalistische Komponente – und die nationale Gerechtigkeit, also die nationale Komponente. Das ist eine zukünftige nationalsozialistische oder auch sozialnationalistische Ideologie, wie beliebt. Im Kern wird das möglicherweise Faschismus wie bei Mussolini – ohne rassistische Aspekte, natürlich. Innerhalb dieser Ideologie kann es verschiedene Formen der politischen Kultur geben. Ich bin traditioneller russischer Imperialist. Das ideale Russland, das ist für mich ein euroasiatischer Staat, der aus der Regulierung der Völkervielfalt hervorgeht – das zentrale Volk jedoch, das regulierende Volk, das sind die Russen. Sie sind die Mehrheit, sie sind kommunikativer und sie leben überall. Die heutige russische Föderation ist ein totes Stück Holz, sinnlos, Nonsens. Es kann kein Russland geben, wo dreißig Millionen Russen jenseits der Grenzen ihrer Heimat leben.“
..swoich rodine..“
Erzähler:
Restaurative Expansion des sowjetischen Imperiums, Mobilisierung der konservativen und Rechten Kräfte für die „nationale Konterrevolution“, wie Prochanow es nennt, ist die Politik, die aus dieser Sichtweise folgt. Inzwischen ist der „traditionelle Imperialist“ Prochanow etwas vorsichtiger geworden, allerdings ohne seine Gesinnung dabei zu verbergen. Gefragt, ob es ihn störe, wenn man ihn einen „Faschisten“, „Nationalisten“ oder „Rassisten“ nenne, antwortet er:
O-Ton 12: Prochanow, Forts. 1,19
Regie: O-Ton kurz stehen lassen, abblenden, unterlegen, hochziehen
Übersetzer overvoice:
„Nu snaetje…
„Nun, wissen Sie, der Ärger darüber ist schon lange vorbei. Wie hat man uns nicht genannt: Man nannte mich einen Militaristen, vor dem afghanischen Krieg; dann wurde ich Sklave des Generalstabs genannt, zur Zeit des Putsches wurde ich Putschist genannt; dann wurde ich Faschist genannt, als liberale jüdische Gruppen nach möglichst diffamierenden Bezeichnungen suchten; dann nannte man mich Konservator, Mensch ohne Rückgrat. Rassist hat mich noch niemand genannt. Aber die Begriffe verkommen. Faschist? Was soll ein russischer Faschist sein? So etwas gibt es nicht. Es gibt einen amerikanisch-technotronischen Faschismus, der in einer beängstigenden Weise die eigene weiße Rasse als das Höchste ansieht und einen erschreckenden Genozid am russischen Volk begeht. Er findet seine Analogie im historischen Faschismus. Es gibt jüdischen Faschismus, der das jüdische Volk in eine absolut privilegierte Situation gegenüber allen anderen Völkern erhebt. Aber einen russischen Faschismus gibt es nicht, das ist nicht mehr als ein Schreckgespenst.“
…ne bolje tschem schupil.“
Erzähler:
Die antisemitischen Wendungen in Alexander Prochanows Rede sind nicht zu überhören. Perestroika, Privatisierung, ebenso wie der von ihm so bezeichnete „technoktronische Faschismus“ der USA, was wohl heißen soll, auf Technik basierender Faschismus, sind aus seiner Sicht das Werk der jüdischen Internationale. In dieser Sicht ist er auch mit Alexander Dugin verbunden. In die gleiche Richtung entwickelten sich auch jene Bündnispartner Alexander Lebeds, die seinen gemäßigten Kurs in Krasnojarsk nicht mittragen wollten. Der „Kongress russischer Gemeinden“, eine Organisation, die russische Minderheiten in und Flüchtlinge aus den ehemaligen Sowjetgebieten vertritt, trennte sich von ihm, nachdem er den Waffenstillstand 1996 ausgehandelt hatte, weil er den kosakischen, das heißt den Nachfahren der russischen Kolonisten in Tschetschenien keine Privilegien gegenüber der tschetschenischen Bevölkerungsmehrheit zugestehen wollte. Auch kritisierten sie Lebed dafür, dass er nicht bereit gewesen sei, den Weg eines russischen Pinochet zu gehen. Alexander Lulko, Vorsitzender der Nowosibirsker Ortsgruppe bringt die Methoden, mit denen er Russland gegenüber der amerikanisierten und jüdischen Überfremdung wieder Russisch machen möchte, auf den Nenner:
O-Ton 13: Alexander Lulko, 1.06 (Text kürzer als der Ton)
Kongress russischer Gemeinden
Regie: O-Ton kurz stehen lassen, abblenden, unterlegen, verblenden
Übersetzer overvoice:
„Da jesli tschesna…
“Wenn ich ehrlich bin, dann bin ich für eine nationale Diktatur. Ich habe darüber mit Lebed gesprochen. Ich fragte ihn, wie stehen Sie zu Pinochet? Lebed sagte, sehr gut, Pinochet hat für Ordnung gesorgt. Er brachte Chile wieder auf die Beine. Chile hat heute das höchste Lebensniveau in Südamerika. Damals erklärte Lebed öffentlich, dass er eine nationale Diktatur anstrebe wie in Chile, um Ordnung herzustellen im Lande. Das würde natürlich Markt sein, nicht die Art von Diktatur wie bei Stalin – also, es gibt begrenzte Freiheiten, aber Menschen, die stehlen, töten und Banden bilden wie zur Zeit bei uns geschieht… das geht nicht! Deshalb bin ich für die härtesten Methoden; sagen wir es so.“
… skaschim tak.
Athmo 2: Platzmusik 1,07
Regie: Ton allmählich kommen lassen, kurz frei stehen lassen, abblenden, unterlegen, verblenden mit O- Ton 15
Erzähler:
Wohin diese Haltung führt, der selbst ein Ordnungspolitiker wie Alexander Lebed nicht konsequent genug, für die ein Kriegsherr wie Wladimir Putin nur zweite Wahl ist, führt Wladimir Schirinowskis „Liberal-demokratische Partei“ vor. Bei ihr bleibt von dem „geopolitischen Projekt“ Alexander Dugins, von der „sozialistischen Komponente“ und der „nationalen Gerechtigkeit“ Alexander Prochanows, von der „nationalen Ordnung“, die sich der „Kongress russischer Gemeinden“ erträumt letztlich nur noch rassistische Demagogie übrig. Vertreter der Schirinowski-Partei wie Alexander Loginow, ein ehemaliger Offiziersschüler, Abgeordneter der Partei in der Moskauer Staatsduma, lieben es, bei Veranstaltungen der Partei in vollem Wichs vor die Versammlungen zu treten:
O-Ton 14: Alexander Loginow, Partei Schirinowskis 2,10
Regie: Ton verblenden, langsam hochziehen, kurz frei stehen lassen, abblenden, unterlegen, nach belieben zwischendurch hochziehen, nach Erzähler hochziehen, verblenden
Erzähler:
„My prowosglaschaem…
„Wir verkünden eine Politik des nationalen Egoismus“, erklärt Loginow. Dann folgt eine demagogische Phrase auf die andere: Das grundlegende Ziel sei die Wohlfahrt des eigenen Volkes. Ihn interessiere nicht, wie die Georgier in Georgien leben, die Kasachen in Kasachstan, die Balten im Baltikum. Ihn interessiere allein das Überleben der eigenen, der russischen Bevölkerung. Wie aber sehe es damit aus? Das russsische Volk werde von den ehemaligen Republiken ausgeraubt; für Minderheiten werde alles getan, für die russische Mehrheit nichts. Wenn in einer jakutischen Stadt 95% Russsen, aber nur 5% Russen lebten, wieso müssten Russen dort dann die jakutische Sprache lernen? Weil die Jakuten die Urbevölkerung seien? So wie es anderswo die Tataren, die Kaukasier, die Tschetschenen? Ja, und wo, bitte sehr, könnten die Russen zuhause sein? Hätten nicht sie die Gebiete zivilisiert? Bei der Urbevölkerung kämen zwanzig Kinder auf eine Frau, die russischen Frauen, elend wie die Verhältnisse heute seien, schafften nicht einmal zwei. Jedes Jahr schrumpfe das russische Volk um zwei Millionen! In zwei Generation werde es das russische Volk nicht mehr geben. „Wofür“, ereifert sich der Redner, „nennt man uns Faschisten?“ Er antwortet gleich selbst: „Weil wir heute sagen: In der Welt geht eine grässliche Tragödie vor sich, ein Genozid gigantischen Ausmaßes am russischen Volk! (…) Marode kleine afrikanische Stämme zu schützen, gilt heute als normal, das liegt im Rahmen der Demokratie, der Menschenrechte, der Internationale, aber wenn ein 150 Millionen Volk stirbt, darf man nicht davon reden. Dann heißt es: Faschisten. Darüber kann ich nur lachen….“
…smejus na etot wapros.“
Athmo 3: Lied von Juri Gorbatschow 2,58
Regie: Verblenden, langsam hochziehen, kurz stehen lassen, abblenden, unterlegen, nach Erzähler hochziehen, verblenden –
Nach O-Ton 15 noch einmal aufziehen, dem Erzähler unterlegen unterlegen, allmählich abblenden
Erzähler:
Auf welchen Boden diese Demagogie zielt, kann man ermessen, wenn man Juri Gorbatschow zuhört, Journalist, Dorfschriftsteller und Liedermacher in Nowosibirsk. Der platte Rassismus der Schirinowski-Partei widert ihn an, ebenso der Antisemitismus Alexander Prochanows und seiner Freunde. Aber Juri Gorbatschow liest Prochanows Zeitung und die Desorganisation des russischen Kulturraumes, die Entstehung einer neuen sozialen Schicht der „Nowi Russki“, für die nur das Gesetz des eigenen Vorteils gilt, hat ihn zu einem Lied über neue Hunnen und neue Wikinger inspiriert.
Befragt, was er darunter versteht, erklärt er:
O-Ton 15: Juri Gorbatschow, Poet, Journalist 1,40
Regie: Verblenden, Ton kurz stehen lassen, abblenden, unterlegen, hochziehen – mit Musik aus Athmo 3 verblenden
Übersetzer overvoice:
„Djela w´tom schto…
“Naja, die Struktur des organisierten Verbrechens, das ist mit bloßem Auge erkennbar, ist die gleiche wie in den Horden Tschingis Chans. Das sind Krieger, das sind gut organisierte Brigaden, die Racketeure, also die Schutzgelderpresse oder die Gruppen im kriminellen Geschäft. Drogen, Überfälle, Krontrollen von Verkehrswegen – all das ist nach den Prinzipien von Kampfgruppen organisiert. Die kann man mit den Wikingern vergleichen oder auch mit den Hunnen. Es sind Banden, Banditen, Krieger, die sich zusammenrotten, rauben, töten; töten ist für sie kein Problem. Das ist die psychische Verfassung des frühen Menschen, wie sie bei den Hunnen war oder bei den Skythen oder bei irgendwelchen frühen Ariern. Das war alles ein und dieselbe Mentalität. Zu Zeiten der Jagd, auf Kriegszügen da wurde geraubt, vergewaltigt und gemordet, auch von den Christen – von denen nur im Namen von Christus. Und ebenso das Heer Tschingis Chans: Wenn einer den Zehnerverband, die Grundeinheit, verließ, wurde der ganze Verband getötet. Heute ist das genauso: Wenn einer aus der Brigade raus will, wird er umgebracht, einfach getötet. Sie leben nur für heute, an morgen denken sie nicht. Vom Geschäft verstehen sie nichts, nur vom teilen der Beute. Was ist das anderes als neue Hunnen?“
…nowi Gunni.“
Athmo 3: Gorbatschow singt, Forts.
Regie: Verblenden mit O-Ton1, kurz stehen lassen, allmählich abblenden
Erzähler:
Juri Gorbatschow unterstreicht seine Darstellung mit Zitaten historischer Autoren , deren Arbeiten über den Zusammenhang von Geografie, Geschichte und Kultur Euroasiens auch Alexander Dugin, Alexander Prochanow und andere erklärte Nationalisten für sich in Anspruch nehmen. Die gleichen Autoren dienen aber, wenn es um die Diskussion dessen geht, was Russland ist und werden soll, auch Menschen als Quelle, die sich nicht zum patriotischen Lager zählen, sondern diesem als Linke, Demokraten oder einfach nur als kritische Intellektuelle mit Distanz oder gar Ablehnung gegenüberstehen.
Einer dieser Menschen ist Oleg Woronin, Dozent der Geschichte in Irkutsk und Aktivist der Perestroika, Radikaldemokrat, seit Mitte der 90er auch Direktor einer Investmentfirma „Asia“ in Irkutsk:
O-Ton 16: Oleg Woronin, Dozent der Geschichte 1,05
Regie: Ton kurz stehen lassen, abblenden, unterlegen, hochziehen
Übersetzer overvoice:
„Skaschim, rjad istorikow…
„Es gibt bei uns eine Reihe von Historikern des 19. und 20. Jahrhunderts, wir nennen sie, Euroasiaten. Sie haben nichts gemein mit einigen Moskauer Ideologen, die sich Euroasiaten nennen, im Kern aber einfach Faschisten sind wie Dugin und andere. Ungeachtet dessen, was die Nationalisten aus ihnen machen, haben diese Wissenschaftler zur Lage Russlands viel zusammengetragen, was seine Lage zwischen Asien und Europa, als Brücke zwischen Ost und West und die Entstehung seine staatlichen Strukturen aus dieser Mischung verschreibt. Vieles davon kommt aus dem Osten, genau genommen aus dem mongolischen Staat. Dazu kommen die türkischen Einflüsse und viele frühere Einflüsse aus dem nomadischen Korridor. Das ist natürlich eine große historische Erfahrung, Aber bedauerlicherweise hat unsere historische Wissenschaft diese Erfahrung ignoriert, vergessen. „
…ignorirowala, sabila.“
Erzählung:
Die Tatsache, dass die Geschichte verdrängt und vergessen wurde, macht es möglich, das richtige historische und geopolitische Tatsachen und die interessanten Ideen des euroasiatischen Historiker des letzten Jahrhunderts von russischen Nationalisten heute für ihre Zwecke benutzt werden. Das, so Oleg Woronin, sei höchst bedauerlich, weil es die Annahme der eigenen Geschichte und eine echte Orientierung Russlands zwischen Asien und Europa erschwere.
In dieselbe Richtung geht Igor Tschubajs, Bruder des berüchtigten Ministers für Privatisierung in der Zeit Jelzins, Anatoly Tschubajs.
Igor Tschubajs ist Historiker an der Universität für Völkerfreundschaft in Moskau. Er leitet dort den Forschungsbereich einer „Philosophie Russlands.“ Nach dem Zusammenbruch der sowjetischen Weltbildes, so Igor Tschubajs, nachdem klar wurde, dass die dadurch entstandene Leerstelle nicht durch einen einfachen Import aus dem Westen, ebenso wenig aber durch eine Rückkehr zum imperialen Russland des Zarismus zu schließen sei, bleibe für Russland im Grunde nur ein Weg:
O-Ton 17: Igor Tschubajs, Historiker 0,30
Regie: Ton kurz stehen lassen, abblenden, unterlegen, hochziehen
„Wot, is maja…
„Der einzige annehmbare Weg ist der Weg der Akzeptanz, zur Wiedervereinigung mit sich selbst. In unserem Lande ist jetzt zum ersten mal seit siebzig Jahren eine neue, unabhängige wissenschaftliche Schule entstanden, eine neue Richtung wie seinerzeit die Frankfurter Schule in Deutschland oder die Wiener Schule der Philosophie. Die neue Schule, die bei uns entstanden ist, nennt sich `Schule der Akzeptanz´“.
…schkola priemstwa.“
Erzähler:
Um die Akzeptanz und gleichzeitige Modernisierung von drei Grundwerten werde geforscht und diskutiert. Diese sind: Die „Sammlung russischer Erde“, also die Frage des russischen Imperiums, die kollektiven Gemeinschaftsstrukturen und die orthodoxe Religion. Eine Erneuerung der Grundwerte, also eine neue russische Idee könne aber weder von oben verordnet, noch den Völkern Russlands übergestülpt werden. Auch müsse sie im Gespräch und nicht in der Konfrontation mit den Nachbarn Russlands entstehen. Welchen Weg Russland schließlich einschlägt, dürfte nicht zuletzt auch von der Gesprächsbereitschaft dieser Nachbarn abhängen. Sie müssen Russlands Lage zwischen Asien und Europa nicht nur verstehen, sondern ihrerseits akzeptieren.
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