Bericht vom 24. Treffen am 19.01.2013
Liebe Freundinnen, liebe Freunde,
die Wiederentdeckung dessen, was wir in der Ankündigung unseres Themas als „Commons, Allmende, Óbschtschtina“ benannt haben, hat erst begonnen. Das gilt für unsere eigene Befassung mit diesen Fragen ebenso wie weltweit. Unser letztes Treffen stützte sich wesentlich auf die Arbeiten von Elinor Ostrom, konkret ihr Buch „Die Verfassung der Allmende“, in dem sie das Wesen der Allmende als sozialem Organismus der Selbstorganisation herausarbeitet und an Hand umfangreicher empirischer Studien aufzeigt, nach welchen Regeln sich Allmenden in der Vergangenheit entwickelten konnten und was daraus für die heutige Entwicklung zu lernen ist. Elinor Ostrom erhielt für diese Arbeit als erste Frau im Bereich Ökonomie zu dem Thema 2009 den Nobelpreis.
Diese Untersuchungen sollen hier nicht referiert werden. Interessierten empfehlen wir, sich das Buch von Elinor Ostrom selbst zur Hand zu nehmen. Dafür noch einmal die Daten, die wir dazu bereits angegeben hatten: „Die Verfassung der Allmende, Mohr-Siebeck, darin besonders die Seiten: 115 – 132, auf denen sie die Regeln zu einem Kanon zusammenfaßt. Ergänzend haben wir Silke Helfrichs Anthologie mit herangezogen, die auf der Spur von Elinor Ostroms Vorarbeiten und mit Unterstützung der Böll-Stiftung weiteres aktuelles Material zum Thema zusammengetragen hat. Ebenso die Arbeiten von Kai Ehlers zu Geschichte und Aktualität russischer Gemeinschaftskultur.
Anzumerken ist, daß die Auflistung der Regeln, die für eine lebensfähige Allmende gelten, im Resumé Elinor Ostroms recht schroff klingt – wer es mit mehr Fleisch haben möchte, tut gut daran, ihre Ausführungen über die historische Entwicklung, ihre Charakterisierung der Allmende als Organismus in den weiteren Teilen des Buches zu lesen, aus denen diese Regeln herausgearbeitet sind. Sie beschreibt Allmenden als einen Organismus, der sich aus zwei Elementen ergibt – die sachlichen, natürlichen, begrenzenden Voraussetzungen einer Ressource und deren Nutzung und Bewirtschaftung durch Selbstorganisation der mit ihr lebenden Menschen in gegenseitiger Hilfe und Selbstverpflichtung. Selbstorganisation in kooperativer Gemeinschaft, Selbstverpflichtung zu gegenseitiger Kontrolle sind nach ihren Beobachtungen die Basis jeder lebensfähigen Allmende. Darin unterscheiden sich Allmenden von staatwirtschaftlichen oder privatwirtschaftlichen Verhältnissen. Darin bilden sie, was Elinor Ostrom nennt: Soziales Kapital im Sinne von sozialem Vermögen, sozialen Impulsen, die in ihrer Art der sozialen Effektivität über die gegenwärtige Effektivität der staatskapitalistischen oder privatkapitalistischen Ordnung hinausgehen. Die von Elinor Ostrom als Bestandteil der Regeln auch mit aufgeführten „abgestuften Sanktionen“ gegen solche Mitglieder der Allmende, die die selbstverpflichtenden Regeln nicht einhalten, sind vor diesem Hintergrund nicht als Ausübung von Herrschaft, sondern als gegenseitige Hilfe und selbst organisierte Kontrolle zu verstehen. Basis aller evtl. getroffenen Maßnahmen ist die freie Entscheidung zur Kooperation sich selbst organisierender und selbstverantwortlicher Menschen, in die weder Staat und Privatkapital bestimmend eingreifen darf, wenn die Selbstverantwortung der Allmende nicht zerstört werden soll.
Was uns besonders auffiel, ist die Tatsache, daß Elinor Ostroms Verständnis von Allmende und der Menschen, die heute neue Allmenden bilden könnten, von einem realistischen, nicht idealistischen Menschenbild ausgeht, das von dem Vertrauen lebt, daß Menschen grundsätzlich bereit und in der Lage sind, Verantwortung im Zusammenhang einer kooperativen Bewirtschaftung zu tragen – aber auch immer wieder in die Situation kommen, die selbst eingegangenen Regeln aus irgendwelchen Gründen nicht einhalten zu können oder zu wollen – es also, bei aller Positivität nicht darum geht, ein Wolkenkuckusheim aufzubauen, sondern darum, ein solidarisches selbstverantwortetes Miteinander zu organisieren, das Initiativen und soziale Impulse effektiver freisetzt als es der Druck des „freien Marktes“ oder auch staatlicher Verordnungen kann. Damit geht sie definierter Maßen in die Kritik an dem Bild vom Menschen als „homo ökonomicus“, dessen Selbsterhaltungstrieb ein freiwilliges kooperatives, gemeinschaftliches Wirtschaften nicht zulasse – was in der herrschenden Wirtschaftslehre gemeinhin als „Tragödie der Allmende“ als angeblich unabänderliche Tatsache gelehrt wird, der nur durch Verordnungen von oben beizukommen sei. Die heute mögliche Allmende entsteht, wo sie entsteht und als Möglichkeit erkannt wird, aber eben gerade als neue Kraft zwischen den bisherigen Dualismen von „Markt“ ODER Staat.
Was uns weiterhin auffiel ist die Tatsache, daß in Elinor Ostroms Untersuchungen und in den auf ihrer Spur weiterarbeitenden Untersuchungen wie den sehr informativen Arbeiten von Silke Helfrich und anderen westlichen Arbeiten zum Thema, die sich heute mit „Wiedergeburt der Allmende“ Gemeineigentum u.ä. befassen die Gemeinschaftskultur der ehemals sozialistischen Länder mit keinem Wort auftaucht. Dabei ist z.B. besonders die russische Gemeinschaftskultur (Óbtschtschina) und ihre erst sowjetische, dann nachsowjetische Transformation von größtem Interesse für die heutigen Prozesse der Allmendebildung. Man vergegenwärtige sich nur kurz die jahrhundertealte Gemeinschaftstradition mit klassischen Allmendestrukturen in der Geschichte der russischen Bauerngemeinschaften, danach deren Verstaatlichung, Zwangskollektivierung und Übertragung auf die Industriewelt durch die Sowjets seit 1917, heute ihre Zwangsprivatisierung seit der Auflösung der Sowjetunion. Die Aufarbeitung der Geschichte, der Form und der Regeln dieser Gemeinschaftskultur, ihrer Pervertierung durch die Verstaatlichung, und ihrer heutigen erneuten Transformation gehört selbstverständlich ebenfalls in das Thema der neuzeitlichen Allmendeentwicklung. Nachzulesen in den Untersuchungen zu den russisch-nachsowjetischen Gemeinschaftsstrukturen in den Veröffentlichungen von Kai Ehlers (Siehe hierzu: www.kai-ehlers.de)
Kurz – der Einstieg ins Thema „Commons, Allmende, Óbschtschina“ führte in ein weites, weithin noch unbearbeitetes, offenes Feld und war an einem Abend erst nur ansatzweise zu überschauen. Insbesondere stellte sich die Frage, in welchen konkreten Formen sich diese Entwicklung heute vollzieht, vollziehen könnte – oder auch bekämpft wird. Erste Berichte persönlicher Erfahrungen mit bescheidenen allmendeähnlichen Ansätzen, z. B. bei der Organisation eines Hühnerhofs in der Hamburger Bezirkskulturstätte „Motte“ flossen bereits spontan ins Gespräch ein.
Das nächste Treffen soll deshalb unter der Frage stehen:
Commons, Allmende, Obschtschtina – Umsetzung, konkrete Formen, Stand praktischer Realisierungen, Probleme
Wir wollen über konkrete Beispiele und über die verschiedenen Felder sprechen, auf denen sich so etwas wie eine Allmendebildung vollziehen kann, bzw. auch darüber, wo bestehende Allmenden heute bedroht sind, angegriffen werden und welchen Widerstand es zu ihrer Erhaltung evtl. gibt. Jede/r ist eingeladen, dazu sein/ihre Beispiele und Erfahrungen einzubringen.
Noch einmal Hinweise zur Hintergrund-Literatur:
Zu westlichen Bewegungen:
– Elinor Ostrom: Die Verfassung der Allmende, oekom 1999
– Silke Helfrich: Wem gehört die Welt? Zur Wiederentdeckung der Gemeingüter, oekom, 2009
Zum russisch-nachsowjetischen Raum:
– Kai Ehlers u.a.: Erotik des Informellen – Von der Not der Selbstversorgung zur Tugend der Selbstorganisation, Alternativen für eine andere Welt, „edition 8“
Herausforderung Russland – vom Zwangskollektiv zur selbstbestimmten Gemeinschaft? Eine Bilanz zur Privatisierung, Schmetterling-Verlag, Stuttgart, 1997 Darin: Geschichte der Entwicklung gemeineigentümlicher Strukturen in Russland vom Zarismus bis heute.
– Zur weiteren Anregung auch: P.M.: Kartoffeln und Computer, Nautilus
Wir treffen uns am 16.02.2013 um 16.00 Uhr (
(Achtung dieses Mal um 17.00, nicht um 16.00 Uhr)
In unserer Forums-Jurte an der Rummelsburgerstr. 78, U 1- Farmsen
Wir hoffen auf Eurer zahlreiches Kommen.
Herzlich, Kai Ehlers
Im Namen des Forums integrierte Gesellschaft