Ukraine nach der Wahl: Halbzeit an den kaukasischen Front

Die erste Schlacht ist geschlagen. Der westorientierte Kandidat Viktor Juschtschenko konnte die Nachwahl mit 52,02 % für sich entscheiden; sein Konkurrent Viktor Janukowitsch blieb mit 44,16 Stimmen zurück. Ein Plus für beide und für die politische Kultur im Lande: die Wahl fand ohne bemerkenswerte Zwischenfälle statt Nach kurzem Zögern erkannte auch Janukowitsch das Ergebnis faktisch an, indem er von seinem bisherigen Amt als Regierungschef zurücktrat und damit den Weg für eine Regierungsneubildung durch Janutschenko freigab. Alle weiteren möglichen Versuche nachzukarten – wie etwa eine Revision der vor der Wahl zwischen den Parteien vereinbarten Verfassungsreformen – sind bereits Vorgriffe auf den zukünftig zu erwartenden innenpolitischen Kleinkrieg um die Frage, welchen weg die Ukraine nunmehr zwischen Russland, der Europäischen Union und ihrem großen Bruder USA einschlagen wird. Dabei ist schon nicht mehr klar, in welcher Fragmentierung der ukrainischen Gesellschaft und in welcher taktischen Konstellation der beteiligten aussenpolitischen Mächte sich dieser Krieg abspielen wird.
Der Sieger Juschtschenko hat in einem Spiegel-Gespräch gleich nach der Wahl erklärt; Russland bleibe strategischer Partner der Ukraine, einzige Bedingung sei, „dass Putin unseren Weg der Ukraine in die EU nicht blockiert“. Das heißt: Der Spagat zwischen Russland und der Europäischen Union wird zum Programm.. Eine „Regierung des nationalen Vertrauens“ soll den Spagat möglich machen und zwar auf der Grundlage, so Juschtschenko, „die wir mit unseren Partnern vereinbart haben“. Welche Vereinbarungen das sind, lässt er offen.
Sehr Vertrauen erweckend klingt das nicht, wenn die beabsichtigte Revision der vereinbarten Verfassungsreform schon jetzt die „moralische Zustimmung“ des neue gewählten Präsidenten findet. Einiges wird dennoch schon jetzt sichtbar: So erklärt Juschtschenko, dass er „keine Rückkehr zur Zeit der Privatisierung“ wolle, um gleich darauf zu präzisieren, von Renationalisierung halte er nichts. Er wolle Stabilität und klare Rechtsverhältnisse; die Unternehmer müssten vor ungerechtfertigten Verfolgungen geschützt werden, Verfolgungen des früheren Präsidenten und seiner Familie werde es nicht geben; andererseits müsse ab dem 26. Dezember 2004 jeder in der Ukraine Steuern bezahlen; die Schattenwirtschaft müsse beendet werden. Dies alles liest sich – verwunderlich aber wahr – wie die verspätete regionale Variante der Verlautbarungen, mit denen Wladimir Putin Anfang 2001 seinen Vorgänger Boris Jelzin ablöste: Keine Verfolgung der Jelzinschen Familie, Stabilität, Rechtssicherheit, Steuergerechtigkeit, kurz, Absicherung der durch die Schock-Privatisierung erreichten Eigentumsverhältnisse ungeachtet der Wege, auf denen sie zustande kamen. Der besondere Ukrainische Weg Juschtschenkos reduziert sich darauf, die Absicherung des Erreichten, die Stabilität und die Reintegration nicht wie Putin zwischen Asien und Europa, sondern zwischen Russland und der Europäischen Union erreichen zu wollen. Eine Entscheidung für die eine oder andere Option ist das nicht! Das strategische Tauziehen wird also weitergehen. Nach wie vor offen ist die Position der Ukraine zwischen den Wirtschaftsräumen der von der russischen Politik gewünschten „slawischen Union“ aus Russland, Weissrussland und der Ukraine, bzw. deren aktueller Form der Wirtschaftsgemeinschaft von Russland, Kasachstan, der Ukraine und Weissrussland und auf der der anderen Seite der Europäischen Union. Das betrifft insbesondere die schwer-industriellen Industrie- und Rüstungskomplexe im Osten der Ukraine, die engstens mit Russland verflochten sind. Konfliktträchtig ist zudem die Rolle der Ukraine als Durchgangsraum für den Energietransfer aus dem kaspischen Raum nach Europa – bzw. in die USA, die bisher mit Russland verbunden sind. In der strategischen Auseinandersetzung um die Kontrolle des kaspischen und von dort ausgehend des gesamten euroasiatischen Raumes nimmt die Ukraine eine zentrale Stellung im Ringen der Großmächte ein. „Ohne die Ukraine“, an diesen Ausspruch des US-Strategen Brzezinski, daran sei hier nur noch einmal erinnert, „ist Russland kein Imperium mehr.“
Vor diesem Hintergrund kommt der Einrichtung eines „Dialogforums“ zwischen Russland und Deutschland zur Lösung des tschetschenischen Konfliktes und zur wirtschaftlichen Stabilisierung des Kaukasus, wie sie zwischen Wladimir Putin und Gerhard Schröder bei ihrem letzten Treffen in Hamburg zum Ende des alten Jahres vereinbart wurde, die Funktion zu, die nächste Etappe des strategischen Ringens zu eröffnen. Man darf gespannt sein, wie die USA auf den Versuch Russlands, seine Isolierung durch eine besondere Annäherung an Deutschland und über Deutschland an die EU zu durchbrechen, reagieren werden. Eine Antwort wird nicht lange auf sich warten lasen.

Kai Ehlers
www.kai-ehlers.de

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